In meinem kleinen Land
Handy, und ich erfahre, dass ich fristlos aus meiner privaten Krankenversicherung geflogen bin. Der Grund klingt auf Anhieb lustig: Als ich meinen Aufnahmeantrag stellte, soll ich Rückenschmerzen sowie die Behandlung von Krampfadern verschwiegen haben. Nun ist es mit den Rückenschmerzen so, dass wir alle irgendwie Rückenschmerzen haben. Das halte ich nicht für erwähnenswert, und außerdem ist das Teil einer anderen Sache, die ich brav angegeben habe damals, als ich schlauer Fuchs die Kasse wechselte.
Und mit den Krampfadern verhält es sich folgendermaßen: Ich habe meiner Versicherung nur deswegen nichts von Krampfadern mitgeteilt, weil ich gar keine habe. Ich werde von der Damenwelt gerade für meine immer noch aparten Beine und für die makellose Beschaffenheit des darunterliegenden Venenapparates stets sehr gelobt. Soll ich nun beleidigt oder belustigt sein? Die hätten mich ebenso gut rausschmeißen können, weil ich ihnen nichts von dem Ohrensausen, der Gürtelrose und den Nierensteinen erzählt habe, unter denen ich ebenfalls nicht leide.
Dummerweise entfällt mein Versicherungsschutz ab sofort. Ich muss mich also kümmern. Sehr lästig. Eigentlich: Scheiße. Außerdem: Ich bin kerngesund, ein Beitragszahler, wie er im Buche steht. Ich verstehe den Quatsch überhaupt nicht.
Als die Lesung beginnt, mache ich mit den Augen wie immer einen kleinen Streifzug durch das Publikum, um mal zu sehen, was heute für Leute da sind. Und wen entdecke ich in der fünften Reihe? Meine alte Bio-Lehrerin! Wobei das Wort «alt» total unzutreffend ist, denn sie ist gar nicht alt. Daraus schließe ich, während ich lese, dass sie vor dreiundzwanzig Jahren, als wir unter ihrer Leitung Schlammröhrenwürmer (Tubifex) zerschnippelten, wahnsinnig jung gewesen sein muss. Wir mochten sie alle sehr. Sie war nicht nur apart, sondern auch schlagfertig und in gewissen professionellen Grenzen uns Schülern gegenüber sogar charmant. Natürlich fanden die Jungs sie alle super. Ungefähr zu der Zeit, als ich Abitur machte, verließ sie die Schule und ging in den Erziehungsurlaub. Sie zog mit ihrem Mann nach Eckernförde, und heute sitzt sie im Publikum und lächelt mich an.
Eine Zuschauerin hat mir «Kleiner Feigling» mitgebracht. Das Getränk spielt in meinem letzten Roman eine gewisse Rolle und kommt auch immer in den Lesungen vor. Was ich nicht wusste: «Kleiner Feigling» kommt aus Eckernförde. Im Hotelzimmer überlege ich, ob ich noch den Feigling austrinken soll. Man muss ihn vorher wie wild auf eine Tischplatte hämmern und dann ex aussaufen. Das macht aber zu viel Lärm jetzt. Die alten Menschen in den umliegenden Hotelzimmern schlafen schon. Wenn ich jetzt die Flasche auf den Tisch brettere, wachen die auf und denken, der Russe stünde vor Berlin.
Tiefenbach. Kampf der Käfer
15. Mai 2006
Bevor ich zum Bahnhof fahre, rufe ich bei der komischen Versicherung an, die mich rausgeworfen hat. Ich versichere dem Ortsboss, dass meine Beine tadellos in Schuss seien. Ich behaupte, dass Rückenschmerzen nichts Besonderes seien. Ich biete an, mich von einem Vertrauensarzt begutachten zu lassen. Der Bursche stellt auf stur. Er beharrt darauf, dass ich dies und das verschwiegen hätte und dass mein Versicherungsschutz nun entfiele. Ich bitte ihn, diesen zumindest so lange aufrechtzuerhalten, bis ich eine neue Versicherung gefunden hätte, aber er schlägt mir diese, wie er es nennt, «individuelle Lösung» ab. Sie hätten ihre Prinzipien, und er könne nicht erkennen, dass ich für eine Sonderregelung in Frage käme. Mein Anwalt hatte mir zuvor erläutert, dass solches Vorgehen zwar unmoralisch und widerlich sei, jedoch Usus bei den Versicherungen. Dagegen anzugehen sei schwierig und oft erfolglos.
Es ist wirklich zum Kotzen. Ich habe mich zwar schon langsam daran gewöhnt, in diesem Land von Banken und Versicherungen wie Zahlvieh und Dreck behandelt zu werden, was mich aber sehr stört, ist die Vorverurteilung meiner Person. Ich werde regelrecht kriminalisiert von diesem Typen. Und das auch noch zu Unrecht.
«Ich fühle mich von Ihnen kriminalisiert.»
«Ich habe nach Faktenlage zu entscheiden. Und Fakt ist, dass ich hier eine Behandlung von Krampfadern vorliegen habe.»
«Aber nicht an meinem Bein.»
«Am rechten.»
«Das ist unerhört. Das muss ein Missverständnis sein.»
«Das höre ich so oft.»
«Rufen Sie doch diesen Hautarzt an, mein Gott. Rufen Sie ihn an und fragen Sie nach meinen Krampfadern.»
Ich platze
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