In meinem kleinen Land
missgelaunte Ulmer auf Klappstühlen sitzen. Und die Stimmung wurde nicht besser, als ich eintrat und verkündete, es könne nun losgehen. Anstatt sich zu freuen, verschränkten die Zuschauer die Arme vor der Brust und verharrten regungslos auf ihren Stühlchen. Diese Leute sind höchstwahrscheinlich Ulmer Hocker, dachte ich, traute mich aber nicht, diesen ohnehin nur Möbeldesignaficionados verständlichen Kalauer anzubringen. Stattdessen nahm ich meinen Platz in Augenschein. Es handelte sich um ein winziges Tischlein, auf das nur eine DIN-A4-Seite passte. Wenn ich also mein Manuskript umblättern wollte, musste ich die gelesene Seite auf den Boden legen. Das Mikrophon gehörte zu einer ollen Stereoanlage und führte auch direkt in eine solche. Leselicht gab es nicht. Wasser auch nicht, offenbar zur Strafe. Alles an dieser Lesung war schrecklich. Hinterher, ich war ausgetrocknet wie das vernachlässigte Basilikumtöpfchen in meiner Küche, entdeckte ich das Wasser. Es hatte den ganzen Abend auf der Verkaufstheke hinter mir gestanden.
Die Ulmer wollten nicht einmal Autogramme. Sie gingen schweigend, ich verließ die Buchhandlung und verpasste den Zug. Deprimiert saß ich eineinhalb Stunden bei Burger King im Ulmer Hauptbahnhof und verspeiste ein absolut widerliches Hacksteak-Brötchen mit Jalapenos und Pommes. Dazu trank ich Bier aus einem Pappbecher. Burger King ist echt das Letzte. Als ich um halb zwei nachts zu Hause ankam, schwor ich mir, nie wieder nach Ulm zu fahren. Und nun bin ich doch wieder hier.
Mir wurde versprochen, dass Ulm eigentlich ganz anders sei, Ehrenwort. Und man müsse Menschen eine zweite Chance geben, und ich persönlich hätte von diesem Grundsatz mehr als einmal im Leben profitiert.
Ich lasse mich im strömenden Regen mit dem Taxi zum Hotel mit dem furchteinflößenden Namen «Schiefes Haus» bringen. Tatsächlich findet der Fahrer es auf Anhieb, und das Hotel macht seinem Namen alle Ehre. Das «Schiefe Haus» ist über fünfhundert Jahre alt und neigt sich bedenklich einem Bach zu, kann aber nicht hineinfallen, weil es inzwischen auf einem Betonfundament steht. Es erweist sich als entzückendes kleines Hotel mit feinen Zimmern, die wirklich so schief sind, dass man auf dem Weg ins Badezimmer bedrohlich bergab läuft. Im Kopfteil des Bettes ist eine kleine Wasserwaage integriert, damit man sich davon überzeugen kann, dass das Bett gerade steht und man nicht herauspurzeln kann. Die vier Beine des Bettes sind sehr unterschiedlich lang.
Schließlich die Lesung. Werden die Ulmer mich abermals fertigmachen? Nein, die Leute sind freundlich und aufgeschlossen. Ich werfe Schokoriegel ins Publikum.
Am nächsten Morgen auf einmal strahlender Sonnenschein. Gestern noch war die Stadt trübe, nass und menschenleer, aber heute ist sie bevölkert von geschäftigen Ulmern, die offenbar gerne und viel Eis essen. Ich sehe mir das Münster an, welches demnächst mal wieder eingerüstet wird. Dieser Vorgang alleine dauert mehrere Wochen, und dann wird mutmaßlich für Jahre repariert und restauriert. So eine Riesenkirche instand zu halten, ist eine Lebensaufgabe und eine Sisyphusarbeit. Hat man einen Turm vor dem Verfall bewahrt, kann man gleich mit dem Mittelschiff weitermachen. Wenn das fertig ist, müsste man wieder an den linken Turm, der aber warten muss, weil der rechte Turm noch übler aussieht. Eindrucksvoll eine kleine Ausstellung im Inneren des Münsters: Für die Aufarbeitung eines einzigen, etwa achtzig Zentimeter langen Fassadendetails benötigt man Hunderte von Arbeitsstunden. Die Dombaumeister vor sechshundert Jahren haben das Material nicht nach Umweltverträglichkeit ausgesucht, konnten ja auch nichts wissen von Industrie-, Auto- und Haushaltsabgasen und nichts von ätzender Taubenscheiße.
Auch die Glocken des Münsters müssen dringend gemacht werden. Alles im Eimer, und das Land hat kein Geld. Nirgendwo wird die schleichend sich ausbreitende Armut Deutschlands so deutlich wie bei den Spendenaufrufen für Angelegenheiten, die früher einmal selbstverständlich schienen. Ich werfe Geld in beide Behälter: Glocken und Turm. Ich finde das logisch, denn was soll ein intakter Turm ohne Glocken anfangen? Und wofür brauche ich reparierte Glocken, wenn ich keinen Turm mehr habe, in dem sie läuten können?
Dann sehe ich mir das «Museum für Brotkultur» an. Nicht lachen jetzt! Das ist toll! Deutschland ist ein Brotland, mehr noch: Deutschland ist das Brotland überhaupt. Das Haus hat
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