In meinem kleinen Land
fast vor Wut. Der Arsch am anderen Ende atmet hörbar aus und wiederholt, was er schon einmal gesagt hat.
«Sie wollen mir also gar nicht entgegenkommen?»
Will er nicht. Er will offenbar in die Mittagspause. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm zu drohen. Das ist auch nicht die feine englische Art, aber es bleibt mir ja nichts anderes übrig.
«So. Passen Sie auf: Ich werde mich öffentlich auf Varikose untersuchen lassen, bei ‹stern TV› oder sonst wo. Ich lasse die Hosen runter. Und dann kommt ein Kamerateam in Ihr Büro und fragt Sie, wie es zu meiner Kündigung gekommen ist.» Himmel, ist das schrecklich. Ich komme mir so blöd vor.
Schließlich lässt er sich dazu herab, mich noch bis zum Ende des Monats zu versichern, damit ich auf meiner Reise geschützt bin. Ich habe nun zwei Wochen, eine neue Versicherung zu finden.
Auf meiner Reise nach Odenheim habe ich viel Zeit, darüber nachzudenken. Ich fahre zuerst nach Bruchsal, steige dann um in die S-Bahn durch den Kraichgau. Eine traumhafte Gegend, das muss man sagen. Wo genau ist das? Also: zwischen Karlsruhe und Heidelberg, nördlich davon beginnt der Odenwald, im Süden der Schwarzwald. Eine grüne Weingegend. Die Menschen hier behaupten wie im Breisgau, dass das Wetter nirgends schöner sei, und nennen die Landschaft die «Toskana Deutschlands», was ebenfalls kein einmaliges Prädikat ist. Tatsächlich schwingen sich grüne Hügel sanft am Horizont entlang, teilweise zartbewaldet, andernorts mit Weinreben bepflanzt. In diesem Landstrich kann man wunderbare Historienfilme drehen, in denen Jünglinge zu Pferd dem Kurfürsten wichtige Depeschen überbringen. Man muss nur aufpassen, dass die Jünglinge dabei nicht in den Sandbunker eines Golfplatzes geraten und stürzen. Golf scheint in der Gegend neben Wein eine wesentliche Einnahmequelle zu sein.
Als wir in einem kleinen Örtchen halten, dessen Name zu kompliziert und zu uninteressant ist, um ihn zu behalten, lese ich von meinem Platz in der S-Bahn aus, was ein jugendlicher Täter mit Edding an ein Wartehäuschen geschmiert hat. Es ist ein bemerkenswerter Satz adoleszenter Prosa und lautet: «Deine Mutter schwitzt beim Kacken und rate mal, wer ihr dabei zusieht? Ich.»
Ich werde in Odenheim abgeholt und zunächst einmal nach Tiefenbach in ein Hotel gebracht. Ein wunderliches Haus. Es wurde offenbar aus einem einzigen gigantischen Baum hergestellt. Den haben sie ausgehöhlt. Aus dem Holzaushub drechselte man die Türen und Möbel. Dann verlegte man Teppich und verputzte einige Wände. Anschließend kamen aus dem Schwarzwald Holzkünstler und Herrgottsschnitzer aus Mittenwald und brachten Millionen Verzierungen an. Und am Ende erschienen noch Chiemgauer Kirchenmaler und bemalten dies und jenes und vor allen Dingen die Türen der Aufzüge. Holzwürmer und Japaner lieben so etwas.
Hinter dem Hotel gibt es einen Wald. Es riecht nach Brennnesseln und nach frischer nasser Erde. Es hat geregnet. Es knackt. Ein dampfender deutscher Märchenwald. Ich könnte stundenlang so vor mich hingehen.
Da entdecke ich einen großen schwarzen Käfer vor mir auf dem Weg. Ich bleibe stehen und beobachte ihn. Er hat es eilig, läuft vor mir her, muss wohl dringend ein Brummergeschäft erledigen. Schnell zur Bank. Oder einen Versicherungsantrag ausfüllen. Ich gehe ihm nach. Achtung, hier komm ich, scheint er in Käfersprache zu rufen, unaufhaltsam klettert er über Zweiglein und kleine Steine. Eile. Eile. Rastlose Käferbeine. Dann bleibt er plötzlich stehen. Wie angewurzelt. «Brummer, was ist los?», sage ich in die Stille des Waldes hinein. Dann sehe ich den anderen Käfer. Genau dieselbe Art, genauso groß. Gegenverkehr. Die beiden Kollegen fixieren einander. Eine Weile passiert nichts. Die beiden denken nach. Dann machen sie einige Käferschritte aufeinander zu. Vorsichtiges Abtasten, schließlich kämpfen sie. Richten sich aneinander auf, ringen, ich meine sogar, dass mein Käfer dem anderen eine gescheuert hat. Sie wollen sich wohl gegenseitig auf den Rücken drehen, schaffen aber nur eine halbe Umdrehung, dann lassen sie voneinander ab. Der Gegner läuft in meine Richtung. Mein Käfer jedoch rennt nicht einfach weiter, er biegt nach rechts ab ins hohe Gras und verschwindet. Verstehe ich nicht. Aber ich verstehe ja nicht einmal die Menschen.
Abends dann Lesung auf einem eindrucksvollen Weingut. Dort kann man ausgezeichnet essen. In der Pause bekomme ich eine kleine Führung durch das Gut und den
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