In meinem kleinen Land
morgens bis abends. Direkt gegenüber der Stadtautobahn soll die Lebensqualität ins Unermessliche gehoben werden.
Ich suche mir eines der Millionen Straßencafés am Johanner Markt aus und bestelle etwas zu essen. Die Auswahl der Lokale, in die ich mich setze, folgt übrigens einem einfachen Muster. Ich setze mich grundsätzlich nicht auf weiße oder blutwurstfarbene Stapelstühle aus Plastik, so fallen schon einmal einundachtzig Prozent aller Lokale für mich flach. Und ich mag keine mit bunten Mustern bedruckten Tische. Zack, nochmal zehn Prozent Schwund. Ich entscheide mich für Tische mit Holzlamellen und bastumwickelte Metallrohrstühle.
Ein wenig fernsehen, ein wenig schreiben, dann wird es Zeit. Heute lese ich im Saarbrücker Schloss, im Festsaal. Und das ist so großartig, wie es klingt. Das Schloss befindet sich übrigens auf dem «Platz des unsichtbaren Mahnmals».
Beim Signieren tritt ein junger Mann mit einem äußerst provokanten T-Shirt an mich heran. Darauf steht in Frakturschrift: «Rijkaard Jugend». Er schenkt mir einen Button dieser Vereinigung sowie Informationsmaterial. Daraus geht hervor, dass es sich bei der Rijkaard-Jugend um eine Hobbytruppe aus dem Antifa-Umfeld handelt, die der Deutschtümelei im hiesigen Fußball den Kampf angesagt hat und deshalb mit dem Schlachtruf «Voetbal against Krauts» und dem Konterfei des Rudi-Anspuckers Frank Rijkaard für seine Belange wirbt. Bis hierhin ist das auch alles ganz lustig, nur: Die Jungs sind echt für Holland bei der WM. Und da hört der Spaß auf. Wer mehr über die Rijkaard-Jugend wissen will, muss sich ihre Lieder anhören. Eines enthält in Abwandlung eines Songs der Punkband Knochenfabrik folgende Zeilen:
Wir hatten uns nicht vorgenommen
Je hier auf die Welt zu kommen
Und trotzdem ist es irgendwie passiert
Als wir es schließlich selbst erkannten
Und Deutschland ziemlich scheiße fanden
Hatten wir das Wichtigste kapiert
Solange wir noch spucken können
Zahl’n wir’s Rudi heim
Wir spielen bis Schwarz-Rot-Gold zerbricht
Niederlagen gibt es nicht
Es gibt nur Erfolg oder nicht
Mit der RJ ist jeder Tag ein Fest
Nach dem Signieren muss ich mich beeilen, denn ich will noch etwas vom Champions-League-Finale sehen. Ich komme in der zweiundsechzigsten Minute ins Zimmer. Da steht ja gar nicht der Lehmann im Tor. Und Werner Hansch sagt, die Engländer seien nur noch zu zehnt!? Da wird doch nicht der Jens runtergeflogen sein? Diese Annahme verdichtet sich wenige Minuten später zur Gewissheit.
Der Fußball-Reporter Werner Hansch macht eine entsetzliche Sprachmarotte mit, die mir zunehmend auf die Nerven geht und die ich tags darauf beim Frühstück auch in der «Süddeutschen Zeitung» entdecke. Hansch sagt: «Thierry Henry hat noch Vertrag.» Und in der SZ steht dasselbe über Felix Magath: «Magath hat noch Vertrag bis 2007.» Anderswo zitieren sie den Trainer Christoph Daum: «Ich habe allerdings noch ein Jahr Vertrag.» Bitte, was soll das? Sind die alle in Neukölln auf die Schule gegangen? «Ey, Alda, isch hab noch Handy-Vertrag bis 2007.»
Ulm. Die Ulmer Monster
18. Mai 2006
Ich war schon mal in Ulm. Damals auch zu einer Lesung. Ist schon ein paar Jahre her. Es war ungefähr meine schlechteste Lesung überhaupt. Sie begann damit, dass ich mich verspätete. Das hasse ich, aber es war nicht meine Schuld. Mein Zug lief pünktlich in Ulm ein. Es waren noch reichliche zwanzig Minuten Zeit. Ich setzte mich in aller Ruhe in ein Taxi, gab die Adresse an, und der Fahrer fuhr still dahin. Am Ziel existierte keine Buchhandlung. Wir fuhren um den Block, die halbe Strecke wieder zurück und wieder hin, aber es war immer noch keine Buchhandlung dort. Ich bat ihn, bei der Zentrale nachzufragen, ob es vielleicht eine ähnliche Adresse in Ulm gab, ob wir da vielleicht etwas verwechselt hatten, aber der Taxifahrer, ein melancholischer Albaner, sah sich in seiner Ehre gekränkt. Nach zwei weiteren Umrundungen der Nachbarschaft und einigen unverständlichen Verwünschungen in meine Richtung fragte er doch nach, und es stellte sich heraus, dass die Buchhandlung genau unter der Adresse gelistet war, die ich dem Fahrer genannt hatte. Er hatte die Zielstraße mit einer anderen verwechselt, die beinahe genauso hieß, was weder mir noch ihm rechtzeitig aufgefallen war. Er fuhr also abermals quer durch Ulm. Ich gab ihm ein Trinkgeld, weil ich Angst vor ihm hatte, und als ich aus dem Auto sprang, war ich zwanzig Minuten zu spät.
Schon von außen sah ich
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