In meinem kleinen Land
zurückfahren. Auf diese Weise habe ich Zeit, mich den halben Tag mit meinem Lieblingsthema zu beschäftigen: der Suche nach einer Versicherung, die mich aufnimmt. Das ist gar nicht so einfach, in meinem Alter. Ich bin nämlich bald vierzig, und da greift das Uli-Stein-Theorem. Uli Stein war mal Torhüter beim Hamburger Sportverein und in der Nationalmannschaft. Und dieser Stein sagte einmal: «Wenn du mit vierzig morgens aufwachst, und dir tut nichts weh, bist du tot.» Das gilt im Besonderen für Torhüter, aber eben auch für mich, und daher entsteht in Versicherungen sofort Unruhe, wenn sie jemanden versichern sollen, der schon fast vierzig ist. Das Risiko ist offenbar enorm. Zudem ärgere ich mich nach wie vor über die Manierenlosigkeit der Versicherung, die mir gekündigt hat. Der durchgängig arrogante Ton des Versicherungsgangsters, der mich rausgeschmissen hat, bringt mich zur Weißglut. Ich will mich nicht streiten. Ich will in Ruhe meine Beiträge zahlen und zum Arzt gehen, wenn ich mich unwohl fühle. Es macht auch keinen Spaß, mit diesem Armleuchter in ein geistiges Duell zu treten, denn er ist unbewaffnet. Ich habe mich entschieden, die Versicherung nur dann zu verklagen, wenn ich keine andere finde.
Nun aber Landsberg am Lech. Die Stadt hat eine intakte mittelalterliche Altstadt mit durchnummerierten Häusern. Man wohnt in dem Gebäude 1 bis 496a. Landsberg am Lech hat allerdings mit der historischen Hypothek zu leben, dass Hitler sein Buch «Mein Kampf» schrieb, als er hier im Gefängnis saß. Das ist bloß eine geschichtliche Randnotiz und fällt gar nicht auf die Stadt zurück. Aber es ist halt das, was einem zu Landsberg als Erstes einfällt. Das Zweite sind die «Displaced Persons», die zu Zehntausenden nach dem Krieg in einem von den Amerikanern zu einem Auffanglager umgebauten Kasernengelände lebten. Es waren Vertriebene darunter, Kriegsheimkehrer ohne Familie, befreite Juden und Zwangsarbeiter. Allein 23 000 Juden verbrachten zwischen 1945 und 1950 im Landsberger DP-Lager mitunter mehrere Monate bis zu ihrer Ausreise nach Israel oder den USA.
Ich war einmal in Landsberg am Lech. Das ist schon sechs oder sieben Jahre her, es war im Sommer. Ich fuhr mit einem Freund zu einem Open-Air-Festival. Es war viel zu nass und zu kalt. Die Band, derentwegen wir uns in den Matsch stellten, betrat die Bühne, und der Sänger begrüßte ganz herzlich das Publikum «hier in Landsberg an der Lech». Das gellende Pfeifkonzert konnte er sich nicht erklären, und während er sich noch über den frostigen Empfang wunderte, zog der liebe Gott den Stöpsel aus seiner Badewanne, und unendlich viel Wasser fiel aus dem Himmel auf das Kasernengelände in Landsberg am Lech. Innerhalb von Minuten stand der Platz furchtbar unter Wasser. Ich wunderte mich, dass man bei so einem Regen noch mit Licht und elektrisch verstärktem Ton auf einer Bühne stehen konnte, und dann machte es mitten in der Musik «krrrck», «knack», «spotz» und «wuck», und das Licht und der Ton waren weg. Kurzschluss oder eine Maßnahme zur Sicherheit. Die Zuschauer nahmen das ganz gelassen hin und verwandelten das überschwemmte Gelände in eine enorme Rutschbahn, wie man das aus dem alten Woodstock-Film kennt.
Leichtbekleidete Oberstufenschüler suhlten sich im Schlamm und standen danach am Schwenkgrill, um sich aufzuwärmen. Die haben sich wahrscheinlich alle den Pips geholt. Meine Mutter sagt Pips zu Erkältung. Das Konzert ging irgendwann weiter. Hinterher waren alle Besucher mindestens bis zur Hüfte voller Schlamm.
Ich lese in einer Schulaula, in der viele Stühle stehen. Heute mal wieder mit Pause, danach beschenke ich die Leute mit Tuc-Keksen und gefüllten Waffelstäbchen. Das ist besser so, sonst muss ich die alle selber essen.
Heimfahrt über Land und ganz langsam, mit offenem Schiebedach. Der Geruch des ersten Heus weht herein. Maigeruch. Wehmut kommt auf. Ich bin gerne durch mein Land gereist. Es gefällt mir. Bald werde ich wieder ausschließlich am Schreibtisch sitzen. Die Menschen, die ich in Deutschland getroffen habe, werden in ihren Städten herumlaufen, in ihren Buchhandlungen stehen, kellnern, Taxis fahren, studieren, Betten beziehen und Fahrkarten kontrollieren. Für ein paar Monate habe ich zu ihnen gehört. Ich war bei ihnen. Bald bin ich nur noch bei mir selber. Früher wollte ich nirgendwo sonst sein, aber ich habe mich ein wenig verändert. Mal sehen, wie das wird.
Am nächsten Tag habe ich einen kleinen
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