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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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niemand im Erdgeschoss wohnen. Zu gefährlich. Auf den Hauswänden lässt sich ablesen, wo das Wasser zuletzt gestanden hat. Die Markierungen im Putz ähneln den Strichen, mit denen Eltern das Wachstum ihrer Kinder am Türstock markieren.
    Der dritte Irrtum, der mich Passau für groß halten lässt, speist sich aus der politischen Bedeutung der Stadt. Der politische Aschermittwoch der CSU wird seit vielen tausend Jahren in Passau abgehalten, und man hält ja nicht für möglich, dass die CSU so ein medienwirksames Spektakel in einer Kleinstadt veranstaltet, in der von 1892 bis 1894 übrigens Adolf Hitler gewohnt hat. Wäre Hitlers Vater drei Jahre früher als Zollbeamter nach Passau versetzt worden, müsste Passau damit klarkommen, Hitlers Geburtsort zu sein.
    Wer sich daran gewöhnt hat, dass der Ort recht schnell durchmessen ist, kann hier sehr glücklich sein, denn Passau ist bezaubernd. Es hat Flair, wie es in der Tourismussprache heißt. Es geht bald auf und wieder ab, und hinter jeder Biegung blitzt entweder ein Fluss oder die Festung mit dem Namen Veste Oberhaus zwischen den Häusern hervor. Auffallend ist die Vielzahl von Tätowierstuben, oft mit integriertem Piercing-Service. Dies dürfte der Anwesenheit der Studenten geschuldet sein, die die Stadt sehr zum Verdruss der Alteingesessenen in hoher Dichte bevölkern. Immerhin knapp fünfzehn Prozent der Einwohner sind Studenten. Und die möchten auch mal ein Abenteuer erleben und lassen sich zwischen den Vorlesungen tätowieren, auf dass sie am Wochenende zum Wäschewaschen heim nach Treuchtlingen fahren, wo der Vater beim Anblick der Tribal-Symbole am Steiß ausruft: «Und dafür haben wir dich nach Passau zum Studieren geschickt. Hundskrüppel!»
    Die Studenten bringen natürlich Leben und Kultur und Schwung in die Stadt. Sie arbeiten als Fremdenführer, und sie stellen mit den «Studenten für Passau» sogar einen Abgeordneten im Stadtrat, sind aber trotzdem nicht sehr beliebt. Nach Auskunft eines Studenten, der mich zu meiner Lesung vom Hotel abholt, gibt es einen Kreis griesgrämiger Passauer, der «Verein zur Verhinderung studentischen Lärms» oder so ähnlich heißt und Stimmung gegen die jungen Einwohner macht.

    Lesung in der Aula eines Gymnasiums, das früher ein Jesuitenkolleg war. Ich warte in einem Nebenraum des Saales, wo ich auf einem Schrank ein verstaubtes Juwel entdecke: einen original Braun-Schallplattenspieler von 1970. Top erhalten, astreiner Zustand, natürlich schneeweiß. Ein richtiges Museumsstück. Ob ich den einfach hinterher unters Hemd stecke und mitgehen lasse? Den Verlust würde niemand bemerken, er ist bestimmt seit fünfzehn Jahren nicht mehr benutzt worden. Andererseits: Das tut man nicht. Und es würde unter meinem Hemd sicher auffallen. Okay. Komme ich eben heute Nacht wieder.
    Nach der Veranstaltung gehe ich mit einigen der Studenten noch eine Kleinigkeit essen, im Scharfrichterhaus, einer Passauer Kleinkunstkathedrale. Wir unterhalten uns. Es ist sehr angenehm, unter Studenten zu sein. Am liebsten wäre ich jetzt auch ein Student. Aber nur für einen Augeblick. Für einen kurzen schwelgerischen Moment. Dann ist wieder alles okay, und ich kann beruhigt in meinem Zimmer im Hotel «Weißer Hase» einschlafen.

    Am nächsten Morgen will ich unbedingt den Dom sehen. Zwar ist der Stephansdom bevölkert von Amerikanern, die in riesigen nummerierten Gruppen durchgeschleust werden, aber das spricht ja nicht gegen den Besuch dieser herrlichen, gotisch-barocken Kirche. Die Amerikaner stehen jeweils um einen Führer, der eine Tafel mit einer Nummer hochhält, damit sich die Gruppen nicht vermischen und zum Beispiel zwei Gäste aus Ohio aus Versehen zwischen Texaner geraten. Um Himmels willen sind Amerikaner lustig – wenn sie nicht gerade Krieg führen.
    Danach zur Veste Oberhaus, von wo man einen wunderbaren Blick über das Städtchen hat und die Flussfusion erkennen kann. Dies ist deshalb so eindrucksvoll, weil die drei Ströme unterschiedliche Wasserfarben haben. Der Inn ist grün, die Donau blau und die Ilz fast schwarz, denn sie kommt aus einem Moorgebiet. Das ergibt ein beinahe mystisches Farbenspiel und wirkt, als schöbe der an dieser Stelle breitere Inn die Donau beiseite.

Landsberg am Lech. Keine Krampfadern, aber Pips
    24. Mai 2006
    Heute mal was Leichtes: Landsberg am Lech. Das ist easy, weil ich von zu Hause bloß fünfzig Minuten mit dem Auto dorthin brauche. Ich werde also nicht übernachten. Hinfahren, lesen,

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