In meinem kleinen Land
einen etwas hochtrabenden Namen, das gebe ich zu. «Ulmer Brotmuseum» hätte es auch getan.
Zu den wesentlichen Lektionen meines Besuchs gehört zum einen, dass sich die wesentlichen Arbeitsschritte bei der Herstellung von Brot bis vor kurzem kaum verändert haben. Es wird Teig aus wenigen natürlichen Zutaten hergestellt, der Teig muss geknetet werden und gären, dann wird er gebacken. So haben sie das schon in der Antike gemacht. Erst seit wenigen Jahren, die nicht einmal einem erdhistorischen Wimpernschlag entsprechen, hat sich das Verfahren verändert, und wie immer geht ein Teil der Kultur flöten. Seit viele Bäcker nicht mehr selber die Zutaten des Teiges zusammenstellen, sondern bloß noch Fertigmischungen anrühren, ist auch der Prozess des Liegenlassens, in dem der Teig geht und gärt, drastisch abgekürzt worden, wahrscheinlich aus Zeitgründen. Inzwischen schmeckt das Brot überall gleich. Eine Faustregel besagt, dass ein guter Bäcker niemals mehr als drei verschiedene Brotsorten und vielleicht zwei Sorten Brötchen führt. Sind es ein Dutzend Brote und ebenso viele Brötchen, haben Sie es mit einem Fertigbäcker zu tun.
Die zweite Erkenntnis betrifft den Neuerwerb eines Wortes, das ich noch nie gehört habe und dank dieser Niederschrift niemals vergessen werde. Es ist ein wunderschönes altes deutsches Wort, und es lautet «worfeln». Worfeln? Was ist das? Worfeln ist eine Tätigkeit, die es heute wahrscheinlich nicht mehr gibt. Früher haben meistens Kinder und Frauen geworfelt. Nachdem das Getreide gedroschen wurde, also das Korn aus den Ähren geschlagen, lag es mitsamt Umhüllung auf dem Boden. Nun musste man auf dem Feld die Spreu vom Weizen trennen, und das tat man, indem man beides in die Luft warf. Die Spreu flog mit dem Wind davon, der Weizen fiel wieder zu Boden. Diese Tätigkeit, die auf schönen Ölbildern verewigt worden ist, nennt man Worfeln. Ein wunderbares Wort. Besonders für Scrabble, denn es hat sieben Buchstaben. Sie erhalten fünfzig Punkte extra, wenn Sie die Kombination WORFELN auf dem Bänkchen haben und als Erster an der Reihe sind. Leider spiele ich kein Scrabble.
Ingolstadt. Frankensteins Heimat
19. Mai 2006
Zu den «Wer-wird-Millionär-Fragen» des Lebens gehört die nach dem Handlungsort des Romans «Frankenstein» von Mary Shelley. Frankenstein spielt a) in Prag, b) in Wien, c) in Ingolstadt oder d) in Nürnberg? Antwort c ist richtig. Nach unserem heutigen Empfinden lägen Prag oder Wien näher, aber Ingolstadt hatte zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts eine ziemlich berühmte Universität mit einer großen medizinischen Fakultät, von der eine beträchtliche Strahlkraft ausging.
Außer für Frankenstein ist Ingolstadt sehr berühmt für die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der an ihr nach Nürnberg und München vorbeiführenden Autobahn A9, mehrere Raffinerien und natürlich und vor allem für Audi. Wer zuvor einen Blick auf die Stadtkarte wirft, den beschleicht das ungute Gefühl, hier möglicherweise etwas ähnlich Traumatisierendes zu besuchen wie Wolfsburg. Auch in Ingolstadt nehmen die grau unterlegten Industrieflächen mehr Platz ein als der eigentliche Ort. Das lässt Schlimmes erahnen. Zum Glück sind die Sorgen nicht berechtigt. Ingolstadt ist zwar sehr übersichtlich, im Inneren aber angenehm zu beschreiten. Sogar die Fußgängerzone in der Altstadt verschreckt nicht und findet ihre städtebauliche Krönung in einer Kirche und einem Schloss.
Wenn mein Mobiltelefon klingelt, ist es jetzt öfters ein Anwalt oder Versicherungsmakler. Es gibt gute Nachrichten: Die Rechtsschutzversicherung unterstützt meine Klage gegen die Versicherung und räumt ihr hohe Chancen ein, weil ich bei meinem Aufnahmeantrag sämtliche Ärzte von allen möglichen Schweigepflichten entbunden hatte und die Versicherung davon keinen Gebrauch machte. Es heißt, so etwas wie die Kündigung meiner Krankenversicherung habe man wirklich kaum jemals erlebt. Was soll ich dazu noch sagen? Okay, ich klage auf Fortführung meines Vertrages. Schon im Interesse der vielen tausend verarschten Versicherungsnehmer, die sich nicht wehren können.
Es ist Freitag, die fünfte Lesung der Woche, und ich werde anschließend nicht in ein Hotel gehen, sondern mit der Bahn nach Hause fahren. Mein Zug geht um 22.12 Uhr, ich werde, Umsteigen in München inklusive, um 0.02 mit der S-Bahn ankommen und von dort noch zwanzig Minuten mit dem Auto nach Hause brauchen. Der Hund wird mir entgegenlaufen und wir
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