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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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werden noch einmal kurz rausgehen. Dann in der Küche eine Flasche eiskaltes Bier trinken und die Post öffnen. Um ein Uhr werde ich im eigenen Bett ins Wochenende schlafen. Diese Aussicht motiviert mich für die Lesung in der großen Buchhandlung, die ziemlich in die Hose geht.
    Grund ist das hauseigene Mikrophon, das ziemlich genau nach der ersten Manuskriptseite versagt. Es kommen nur noch Störungen und Rückkopplungen aus den Lautsprechern. Fizzelbrizzelbrummtrötquietsch. Die Rettungsmaßnahmen der in technischen Dingen verständlicherweise wenig beschlagenen Buchhändlerin haben nur abermaliges Brummen und Quietschen zur Folge. Also schreie ich zwei Stunden lang das Publikum an, zwischendurch hyperventiliere ich, und mir wird schwindlig. Bin total unzufrieden.
    Die Buchhändlerin fährt mich zum Bahnhof, ich komme um 23.12 Uhr in München an, erwische die S-Bahn früher als geplant und bin schon um Mitternacht zu Hause. Ich gehe mit dem Hund raus, sehe die Post durch und lege mich ins Bett. Eine Sache irritiert mich zutiefst. Nachdem ich meine unverstärkte Brüll-Lesung beendet hatte, sagte eine Zuschauerin freundlich, aber bestimmt: «Also, ohne das Mikrophon war es viel besser!»

Passau. Die vielleicht größte Kleinstadt der Welt
    23. Mai 2006
    In Deutschland ist ein Bär unterwegs. Dies bewegt die Gemüter, denn die Deutschen sind auf eine kindliche Art tierlieb. Zunächst hat der bayerische Umweltminister Schnappauf den Besucher aus Österreich denn auch auf das herzlichste begrüßt, eine Ehre, die man in Bayern den Österreichern sonst eher nicht erweist. Aber erstens ist der Bär zwar aus Österreich eingereist, stammt aber offenbar aus Italien. Und zweitens hat es bei uns in Deutschland seit einhundertsiebzig Jahren keinen Braunbären mehr gegeben, da ist die Freude natürlich groß.
    Dann hat jedoch der Bär getan, was ein Bär tun muss, nämlich andere Tiere umgebracht. Und dies auch noch in der Nähe von menschlichen Behausungen. Und das hat den Ministerpräsidenten Stoiber auf den Plan gerufen, der den blutrünstigen Gast einen «Problembären» nennt. Problembär. Das sagt ausgerechnet Stoiber, der eigentlich Verständnis für den Bären haben sollte, denn dessen irrende Reise lässt sich sehr mit der des Problempolitikers Stoiber im Herbst 2005 vergleichen.
    Wir erinnern uns: Nach der letzten Bundestagswahl verließ Stoiber sein angestammtes Habit und verlief sich weit in Richtung Norden, durchquerte zwei Bundesländer und tauchte in Berlin auf, wo sein Erscheinen zunächst Erheiterung bei der Bevölkerung und Begeisterung bei der neuen Kanzlerin hervorrief. Stoiber lief unbewacht in der Hauptstadt herum und brach in das Wirtschaftsministerium ein. Dann verlor er aber urplötzlich das Interesse, ließ ab von der Bundespolitik und kehrte zurück nach Bayern. Einen Schießbefehl gab es damals zwar nicht, aber die Bayern waren genauso wenig begeistert über die Rückkehr des Problempolitikers wie die Österreicher über die des Problembären. Man hatte gehofft, er würde für immer im Ausland bleiben. Stoiber setzte sich missmutig in seine Staatskanzlei und war beleidigt. Ob der Bär nun gleichfalls übellaunig im Karwendelgebirge seine nächsten Karriereschritte plant, weiß man nicht. Vielleicht sollte Edmund Stoiber aus Oberaudorf mit dem Bären aus Tirol ein Kompetenzteam bilden.

    Ich bin heute in Passau. Lesung in diesem Kleinod von einer Stadt, die ich vollkommen überschätze. Ich habe angenommen, Passau sei mindestens so etwas wie Regensburg. Tatsächlich ist Passau aber ganz winzig. Wie kommt nun dieses Missverständnis zustande? Das liegt sicher an den Superlativen, die sich vergrößernd auf die Stadt auswirken. Die Passauer gebieten beispielsweise über die größte Kirchenorgel der Welt: fünf Orgelwerke, zweihunderteinunddreißig Register und sage und schreibe 17   388 Pfeifen. So eine Stadt kann nicht winzig sein. Ist sie aber. Auf jede Passauer Pfeife kommen 2,9 Passauer Bürger, macht insgesamt ungefähr 50   000. Auch der Umstand, dass hier drei Flüsse zusammenfließen, lässt den Trugschluss zu, dass Passau eine mächtige Handelsstadt ist. Tatsächlich ist das Treffen von Ilz, Inn und Donau zwar recht hübsch anzuschauen, dabei wirkt aber die Passauer Altstadt, die von Donau und Inn umspült wird, eher wie ein schutzbedürftiges Inselchen und nicht wie eine wehrhafte Stadt. Wenn die Flut kommt, versinkt Passau. In den schmalen Gassen in Rathausnähe darf deshalb

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