In meinem kleinen Land
von mir besitzt in Köln eine Bar mit einem selbst für Kölner Verhältnisse legendären Ruf. Ich besuche ihn immer, wenn ich in der Stadt bin. Heute hat er schlechte Laune, was ich bei ihm eher nicht kenne. Wenn ein Kölner schlechte Laune hat, ist entweder gerade Aschermittwoch oder in seinem Keller wurde bei Renovierungsarbeiten eine römische Stadtmauer entdeckt, was den Ausbau des Kellers zu einem Club mit Tanzfläche praktisch unmöglich macht. Denkmalschutz und so. Damit hat man in Köln so seine Last. Man muss nicht tief graben, um auf antikes Gemäuer, Wohnhäuser oder wenigstens Kochgeschirr zu stoßen. Kölner sind daran gewöhnt, aber es macht schlechte Laune. Sogar unter dem Dom wurden schon römische Hinterlassenschaften gefunden.
Der Kölner Dom ist ein respekteinflößendes Gebäude. Vor einhundertzwanzig Jahren muss er noch viel gigantischer auf Reisende gewirkt haben, die ihn schon aus zwanzig Kilometer Entfernung sahen und glauben mussten, in Köln wohnen Riesen. Der Dom ist die dritthöchste Kirche der Welt und wird von den Kölnern sehr verehrt, was auch damit zu tun hat, dass die Kölner ungeheuerlich katholisch sind. Sogar die Unterwelt ist fromm, was sich anhand der folgenden Geschichte gut belegen lässt. Als 1975 bei einem spektakulären Einbruch in die Domschatzkammer wertvolle Stücke geraubt wurden, war es nicht etwa die Polizei, die wesentlich zur Aufklärung des Falles beitrug, sondern es waren Kölner Kriminelle, die die Täter an die Justiz auslieferten. Allerdings konnten auch sie nicht verhindern, dass die Diebe die goldene Monstranz von 1657 einschmolzen, um sie besser verkaufen zu können. Heute ist der Kölner Dom eine der begehrtesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands. Jedes Jahr gehen fünf Millionen Menschen hinein, machen «Ohh» und «Ahh» und bewundern das Lichtspiel in den Bungalowfenstern.
Der Dom steht leider auf einem scheußlichen Platz, der Domplatte. Mit der Domplatte verbinde ich traumatische Erinnerungen an «Live Aid», jenes weltumspannende Konzert, das der frühere Boomtown-Rats-Sänger Bob Geldof im Juli 1985 organisiert hatte. Aus allen möglichen Ländern wurden damals Auftritte von Popstars zugeschaltet. Das deutsche Konzert der «Band für Afrika» fand also auf der Domplatte statt. Es war ein erschütternder Moment, als der deutsche Beitrag im Fernsehen lief. Klaus Lage, Hans Hartz, Wolfgang Niedecken, Ina Deter, Herbert Grönemeyer, Nena und viele weitere Vertreter bundesrepublikanischer Popkultur sangen: «Nackt im Wind, der brüllt und wütet.» Ein englischer Freund von mir schlug damals vor, doch lieber für Deutschland zu spenden, denn dieses Land sei offenbar in einem weit schlimmeren Zustand als ganz Afrika.
Abends im Hotel stecke ich das Ladekabel meines Mobiltelefons in eine Steckdose. Daraufhin bollert jemand von der anderen Seite wie bescheuert gegen die Wand. Ich halte einen Moment inne. Kann es wirklich sein, dass das Einstecken eines Steckers solchen Radau verursacht? Ich ziehe den Stecker zu Testzwecken wieder raus. «Bummbummbumm.» Ich lege mich ins Bett und warte in einer Art Angststarre auf den Schlaf. Am nächsten Morgen erwache ich in derselben Position. Hoffentlich habe ich nicht geschnarcht.
Bergisch Gladbach. Klumstadt
18. Oktober 2005
Ich würde gerne im Bett bleiben. Aber nicht in diesem. Das ist das Dilemma. Heute habe ich wenig Zeit. Und Lust habe ich auch keine. Auf nichts. Aber für neun Uhr morgens ist ein Treffen mit einem Filmteam vereinbart. Die wollen mit mir einen sogenannten Einspieler drehen, also einen etwa zweiminütigen Film.
So ein Filmteam besteht normalerweise aus drei bis vier Personen, heute sind es drei: die Autorin des Films, der Kameramann und der Tonmann. Die vierte Person, die manchmal noch dabei ist, ist ein subalterner Packesel, in der Branche heißt das «Praktikant». Das Team ist sehr angenehm, weil es sich um freundliche Menschen handelt, die ihren Job können und nicht sprechen wie die Orks in «Herr der Ringe». Habe ich auch schon mal erlebt.
Ich hatte gestern Abend zu viele kühle Erfrischungen. Wenn der Schädel dröhnt und der Magen übersäuert ist, trinke ich ganz viel Wasser und vor allen Dingen: auf keinen Fall Espresso. Das Team plant für den Zweiminüter etwa sechzig Einstellungen und eine Drehzeit von fünf Stunden. Aha. Nun gut. Und was soll ich da machen? Sehen wir gleich. Na gut.
Die erste Station ist ein italienisches Feinkostgeschäft, in dem ich bitte ein paar Panini
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