In meinem kleinen Land
zu wenig Wechselgeld erhalten zu haben? Muss man deshalb unbedingt so entsetzliche Schilder aufhängen? Kauf ich eben kein Eis. Der Zoo ist nicht besonders groß. Hat man schnell durch, diesen Zoo.
Für das Badische Landesmuseum hingegen braucht man Zeit. Hier kann man bestaunen, wie sich das Land Baden im Laufe der Jahrhunderte innerhalb Europas so entwickelt hat. Mit viel Geld und Tausenden von Ausstellungsstücken haben sie hier begehbare Geschichte im Zeitraffer aufgebaut. Mag sein, dass die Ausstellung für Kinder mehr Spannung bereithält als für Erwachsene, aber sie bietet eine eindrucksvolle Inszenierung von Geschichte, ist quasi Guido-Knoppisiert.
Anschließend gehe ich essen und gönne mir ein Tagesgericht sowie die Frage an den Kellner, was denn bitte schön «Marmorsaft» sei. Der steht nämlich auf der Karte, und ich kann mir darunter nichts vorstellen. «Das ist Kirsche und Banane gemischt», antwortet der Mann mit dem Podolski-Haarschnitt. Hmm! Crazy, diese Karlsruher Kneipen-Kids. Aber nicht so crazy wie die Kölner. Dort entdeckte ich einmal ein Getränk mit dem Namen «Spatzenhirn». Das war eine wolkige Mischung aus Bailey’s und rotem Genever.
Besonderes Vorkommnis bei der Lesung: Beim Signieren muss ich auffällig oft «Für Katja» schreiben, was entweder bedeutet, dass eine Karlsruher Katja von all ihren Freundinnen dasselbe Geburtstagsgeschenk bekommt oder dass es hier eine sehr hohe Katja-Dichte gibt.
Kirchheim. Bossens Resterampe
14. Oktober 2005
Mein heutiges Hotel befindet sich in Nürtingen, der Heimatstadt von Harald Schmidt. Dies ist dann auch schon die markanteste Nachricht, die sich aus diesem Ort zwanzig Kilometer südöstlich von Stuttgart verbreiten lässt. Die Lesung wird abends in Kirchheim unter Teck stattfinden. Bis dahin habe ich viel Zeit. Was macht man denn den ganzen Tag in Nürtingen? Ist doch klar: nach Metzingen fahren, denn dort gibt es ein Outlet von Boss. Und von Ralph Lauren. Und von Joop, Escada, Bally, Levi’s, Nike, Lego. Insgesamt sind es an die sechzig auf 60 000 Quadratmetern, überall in der Stadt.
Menschenmassen rauschen durch, als wäre es ein riesiges Verdauungssystem. Die Straßen sind zu breit für den kleinen Ort, die Ampeln zu groß und die Parkhäuser zu voll. Nummernschilder aus allen möglichen Ländern und Regionen veranschaulichen den Sog, den Schnäppchen heute auf uns Konsumenten ausüben. In den umliegenden Orten geht den Einzelhändlern die Luft aus. Wer hat schon Lust, für ein Hemd den vollen Preis zu zahlen, wenn er’s auch «baim Booss hole kann», wie die Schwaben sagen.
Ich brauche eigentlich bloß Unterhosen. Aber als ich das babylonische Boss-Outlet betrete, werde ich gierig. Vielleicht schieße ich einen Pullover. Oder ein paar Schuhe. Hemden brauche ich nicht. Die Pullover der diversen Boss-Marken sehen dann aber meistenteils aus wie Ergebnisse von Gestalttherapien. Mit dieser Meinung stehe ich weitgehend alleine da. Wer hierherfährt, der will kaufen, kaufen, kaufen und findet alles dufte. Familien, deren Kinder offenbar von der Schulpflicht befreit sind, drängeln über die Holztreppen und wühlen und probieren an und schleppen zur Kasse. Und es sind bei weitem nicht nur schwäbische Familien mit diesem ulkigen schwäbischen Dialekt. Wenn Honigbienen sprechen könnten, würden sie schwäbisch sprechen, ganz sicher.
Die Schuhe von Boss sind hässlich. Die von Bally allerdings leider auch. Schöne Schuhe sind heute sehr selten geworden. Schlichte, einfache Lederschuhe ohne eingebaute Effekte oder Rückstrahler oder mehrfarbige Aufnäher oder Einsätze gibt es praktisch nicht mehr. Von würdevollen Sportschuhen mal ganz zu schweigen. Auch mit dieser Meinung sehe ich mich im Abflussstrudel der Boss-Kundschaft isoliert. Am Ende kaufe ich Unterhosen und einen Anzug, der genau passt. Dann esse ich ein halbes Hähnchen in einem Metzinger Döner-Outlet.
Abends werde ich in dem Nürtinger Hotel vom Buchhändler abgeholt. Auf meinen Hinweis, dass er im Namen seines Geschäftes einen falschen, nämlich den sogenannten sächsischen Genitiv führe und dass ich das für eine Buchhandlung sehr ungewöhnlich fände, kontert er charmant: «Ja, mag sein. Es ist ein falscher Genitiv, aber es ist ein einhundertzwölf Jahre alter falscher Genitiv.» Da kann man wirklich nichts gegen sagen. Der Herr führt das Haus in der dritten Generation, da verbietet sich jede Genitiv-Moserei.
Köln. Nackt im Wind
17. Oktober 2005
Ein Freund
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