In meinem kleinen Land
steht (oder bald stehen wird. Ich habe nicht gefragt, zu wenig Zeit, Sie verstehen).
Der Buchhändler, ein freundlicher Mann, der bald in den Ruhestand gehen möchte, erzählt mir ein wenig von Pforzheim. Es habe damals, Anfang 1945, bloß zwanzig Minuten gedauert, bis die Engländer die Stadt zu achtundneunzig Prozent zerstört hatten. Es war in Deutschland der Luftangriff mit den drittmeisten Toten. Nur in Hamburg und Dresden seien mehr Menschen auf einmal umgekommen. Die Uhrenindustrie habe man wohl als kriegswichtig angesehen, sagt er. Tja. Und dass die Altstadt wohl sehr schön gewesen sein muss – und ausgezeichnet gebrannt habe.
Freiburg. Bob Dylan sucht in seiner Jacke nach einem Markstück fürs Münster
11. Oktober 2005
Das Kontrastprogramm zu Pforzheim ist Freiburg. So was von schön. Überall zufriedene Menschen, die nur Biogemüse kaufen. Studenten, die in der Sonne sitzen, topgelaunte Penner und überall verwinkelte Fachwerkhäuser und Teeläden. Doll. Fast schon zu doll, fast schon ein ganz kleines bisschen nervig doll. Wahrscheinlich war Freiburg mal eine ganz normale Stadt, aber dann kam der Dufte-Faktor SC Freiburg und das schöne Wetter, und die haben eine Oase des Wohlfühlens, des Freigeistertums und der mit bunten Kreiden gemalten Mittagsmenüschilder daraus gemacht. Ich nenne das die vollkommene Volkerfinkisierung einer Stadt. Immer noch besser als die totale Ottfriedfischerisierung von Bad Tölz. Das auf jeden Fall.
Allerdings wird Freiburg seinem Image volle Pulle gerecht. Ökohauptstadt. Die meisten Sonnentage. Hohe Kneipendichte. Studentinnen, die sich bei warmem Wetter sofort ausziehen. Studenten lieben originelle Speisekarten. Im «Café Legères» gibt es unter anderem das Frühstück «Legères» zu 1,59 Euro. Es besteht aus einem Kaffee und einer Zigarette. Hihi. Existenzialisten-Frühstück. Außerdem wird dort Ravioli mit Steinpilzen angeboten. Ein Gericht, von dem ich auch Stunden später noch etwas habe. Studentenkneipen sind einfach keine Orte kulinarischer Entdeckungen. Hätte ich auch vorher wissen können.
Im Rahmen meiner «Domtour 2005» besuche ich natürlich auch das Freiburger Münster, das, wie der Name schon sagt, zwar kein Dom ist, aber beinahe dasselbe. Der Unterschied ist: Ein Dom ist die Kirche eines Bischofssitzes. Es gibt einige wenige, für die dies nicht gilt, zum Beispiel der Petersdom in Rom. Ein Münster hingegen ist in der Regel Teil eines Klosters, daher der Name, der sich vom lateinischen Wort «Monasterium». (Kloster) ableitet. Im Laufe der Zeit ist diese Bedeutung aber etwas verwischt, und es gibt in Konstanz und Essen auch Bischofskirchen und vielerorts Stadtpfarrkirchen, die Münster genannt werden.
Auf jeden Fall ist das Freiburger Münster die einzige Großkirche, die ich kenne, die in luftiger Höhe von Blumenkästen mit Geranien verziert wird. Typisch Schwarzwald. Das Münster ist ein ziemlich düsteres Ungeheuer, aber gerade dadurch auch wieder sehr geheimnisvoll. Sehr gotisch und auch romanisch und alemannisch. Von außen sieht es aus, als habe Tomi Ungerer es für ein ganz unheimliches Kinderbuch entworfen.
Innen ist die Zeit offensichtlich stehengeblieben: Im Freiburger Münster kostet ein Opferlicht «1 DM». Komisch, es brennen sehr viele Kerzen. Wo die Leute bloß alle die Markstücke herhaben? Und wenn sie keine Markstücke haben, was sie dann wohl in den Kasten werfen? Einen Euro oder fünfzig Cent?
Auf dem Weg zu meiner Lesung komme ich an einem Veranstaltungsplakat vorbei. Darauf ist Bob Dylan abgebildet. Respekt, denke ich. Dylan in Freiburg. Sehr glamourös. Als ich genauer hinsehe, entdecke ich, dass keineswegs Bob Dylan nach Freiburg kommt, sondern Wolfgang Niedecken. «Wolfgang Niedecken singt und liest Texte von Bob Dylan.» Och nö. Hübscher wäre, wenn auf dem Plakat Wolfgang Niedecken abgebildet wäre und darunter stünde: «Bob Dylan singt und liest Texte von Wolfgang Niedecken.» Dylan mit einem Blatt Papier vor der Nase, von dem er in seiner Nörgelstimme abliest: «Vädamp lang häa, vädamp lang.»
Und was nehme ich aus Freiburg mit, neben dem Gefühl der Behaglichkeit, die diese Stadt sofort und auf fast penetrante Weise erzeugt? Auf jeden Fall eine Info, mit der ich bei «Wer wird Millionär?» punkten könnte. Ich weiß nämlich jetzt, wie das Mädchen auf den Pilsflaschen der Marke «Tannenzäpfle» heißt. Es ist ein hübsches blondes Schwarzwaldmädel mit Kopftuch, roten Wangen und einem noch
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