In meinem kleinen Land
geboren ist. Die Letzten, die als Büste in die Walhalla gestellt wurden, waren Konrad Adenauer und Sophie Scholl, wogegen in beiden Fällen nichts zu sagen ist. Die Scholl-Büste ist aber etwas groß geraten, das arme Mädchen hat einen Wasserkopf bekommen. Auch einige weitere Ehrenköpfe überzeugen mich nicht so. Einstein zum Beispiel. Der sieht mir zu comicköpfig aus. Und Franz Schubert. Da stimmen die Proportionen nicht, oder er sah sonderbar aus.
Mit der Orthographie hapert es da und dort. Immanuel Kant fehlt beispielsweise ein dringend benötigtes «m». Und der Humanist Johannes von Reuchlin heißt auf seiner Büste Reichlin. Das ist doch ein starkes Stück. Da kommt man schon in die Walhalla, und dann war der Bildhauer Legastheniker. Schließlich fällt auf, dass einige fehlen. Bertolt Brecht zum Beispiel. Der gehörte hier schon rein. War ihnen aber wohl zu unbürgerlich, der Brecht, hätte vielleicht nachts heimlich Zigarre geraucht und damit den empfindlichen Goethe beleidigt. Immerhin kommt Heine bald in die Walhalla. Ich ahne, dass er selbst das komisch gefunden hätte, denn er war es, der die Walhalla einst als «marmorne Schädelstätte» verspottet hat.
Auch bei den Tonsetzern vermisse ich jemanden. Anton Bruckner ist drin. Bach, Beethoven, Brahms, Gluck, Händel, Haydn (der auf der Büste doch tatsächlich Heyden heißt), Reger, Schubert, Richard Strauss, von Weber und Wagner sowieso. Aber Gustav Mahler nicht. Der hatte schon zu Lebzeiten seine Not mit der Anerkennung. Er konvertierte sogar vom Judentum zum Katholizismus, aber nicht einmal das half ihm weiter. Später wurde er mittels antisemitischer Berichterstattung der lokalen Medien aus Wien weggemobbt. Und nun darf er nicht einmal in die Walhalla, die auf diese Weise in etwas unangenehmer Weise an den Regensburger Dom erinnert. Womöglich ist es gar keine so große Auszeichnung, hier zu landen.
Straubing. Dieses Wurstfingerplakat macht mich noch wahnsinnig
25. Oktober 2005
Auf der Fahrt nach Straubing bekomme ich Heimweh. Nicht nach meinem Zuhause, sondern nach meiner ursprünglichen Heimat, der Gegend, aus der ich stamme. Das ist der Niederrhein. Dort gibt es Äcker, die im Oktober dunkle fettige Klumpen aufwerfen. Dann werden die Zuckerrüben geerntet und liegen in großen Haufen am Feldrand. Und genau an so einem Acker fahre ich vorbei. Überhaupt sieht die Gegend um Straubing sehr niederrheinisch aus. Ganz flach ist die Gäuboden-Landschaft, und Bäume trennen die Felder und Wiesen voneinander. Sie breiten die Äste aus, als wollten sie die Rüben am Davonfliegen hindern.
Als ich ein Junge war, klauten wir Zuckerrüben von den großen Haufen. Wir wuschen die Rüben ab, so gut es ging. In den Furchen der Rinde blieb aber immer noch viel Erde kleben. Dann schnitten wir mit unseren Taschenmessern den Rüben den blättrigen Schopf ab und höhlten sie aus. Was wir herausholten, aßen wir auf, bis uns schlecht wurde. Wir schnitten Fratzen in die Rüben und stellten Kerzen hinein. Das war noch die Zeit von Fliegenpilz-Tomaten und Florida Boy.
Ich denke an die Zuckerrüben und an mein Taschenmesser mit dem Indianerkopf am Griff, das ich schon lange nicht mehr habe, und fahre also auf Straubing zu. Es hat sechs von der Ferne zählbare Kirchtürme, etwa 50 000 Einwohner und einen Zoo. Den einzigen in Ostbayern.
Straubing ist hübsch, hat zwar keinen Dom, aber eine annähernd so große Pfarrkirche. Ich esse Käsespätzle und rege mich zum wiederholten Male über eine wirklich abscheuliche Wurstwerbung auf, mit der auch die armen Straubinger terrorisiert werden. Auf dem Plakat ist ein Blödian in Hippie-Outfit zu sehen, der seine zu einem Victory-Zeichen gespreizten Finger mit Aufschnitt umwickelt hat. Darüber steht: «Schmeckt nach Lieblingswurst.» Ist das noch zu fassen? Da bekommt der Begriff «Wurstfinger» eine völlig neue Dimension. Von weitem sieht es aus, als hätte der Kerl blutverkrustete Ekzeme.
Nach der Lesung im «AnStattheater» geht es mit den netten Leuten von der Buchhandlung noch zu einem Italiener. Die Pizzeria heißt «Molise», nach der gleichnamigen italienischen Region, und natürlich kommen Michele und seine Familie aus der Hauptstadt Campobasso. Das ist der Ort, der in meinen Büchern eine große Rolle spielt. Sie haben alles gelesen und freuen sich, dass ich sie mal besuche. Ich muss also essen. Danach esse ich was, und zum guten Schluss wird noch etwas zu essen gebracht. Sie sind genauso unwiderstehlich
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