In meinem kleinen Land
heutigen Papst der womöglich zweitberühmteste Mensch Gilchings. Er hat einmal bei «Wer wird Millionär» mitgemacht und kam bis zur letzten Frage. Diese lautete: «Woraus wird dem Wortursprung nach Marmelade gekocht?» Er ist dann vernünftigerweise ausgestiegen.
Regensburg. Gustav Mahler darf nicht in die Walhalla
24. Oktober 2005
Nach Regensburg kommt man ja auch nie, das liegt nicht auf dem Weg nach irgendwo, sondern vorm Böhmerwald. Oberpfalz. Strukturschwache Gegend, heißt es. Dünn besiedelt und gering industrialisiert. Nichts, womit man angeben kann. Früher muss das mal anders gewesen sein, Regensburg war mal wichtig. Es ist die viertgrößte Stadt in Bayern und verfügt selbstredend über einen kapitalen Dom. Am Südwest-Eingang des Doms Sankt Peter hängt ein Schild, das auf eine gewisse «Judensau» an der rechten Säule neben dem Eingang hinweist. Wie bitte? Ich glaube, es geht los.
Bei der «Judensau» handele es sich um die Abbildung einer Sau mit an den Zitzen herumspielenden Juden. Das sei als Schmähung gemeint gewesen, denn in südwestlicher Richtung befand sich das Judenghetto. Ausweislich des Schildes müsse man die «Judensau» in einem geschichtlichen Kontext begreifen, und heute sei das Verhältnis zwischen Christen und Juden von Verständnis und Toleranz geprägt. Das ist jetzt kein Satz für Kunsthistoriker, aber: Ich würde diesen Scheiß ja abschrauben und wegschmeißen. Das Judenghetto ist schließlich auch weg, das wurde schon vor fünfhundert Jahren niedergebrannt. Wo damals die Synagoge stand, wurde später die erste evangelische Kirche von Regensburg hingebaut.
Wie dem auch sei. Schon aus Gründen politisch korrekter Erregung muss ich das Regensburger Anti-Juden-Schwein natürlich sehen und betrete neugierig den Dom. Aber ich finde die «Judensau» nicht. Komisch. Die ganze Aufregung für die Katz. Aber so ist das nun einmal: Da gibt es in dieser traumhaft schönen Kirche atemberaubende Fenster, den berühmten «Lachenden Engel» und ein zweiunddreißig Meter hohes Gewölbedach. Und was bleibt am Ende in Erinnerung? Fünfhundert Jahre alter Quatsch, den man nicht einmal zu sehen kriegt.
Es ist gar nicht so einfach, sich in Regensburg zurechtzufinden, denn dieser weitgehend bei Bombardements ausgelassene und daher wunderschöne Ort besteht zu einem Gutteil aus autofreier Altstadt, Kirchen und Geschenklädchen mit Ratzinger-Tellerchen. Man verläuft sich leicht in den Gässchen, die voll sind von Holzspielzeuglädchen und sehr angenehmen Cafés. Schon das Navigationsgerät im Auto hatte vor der «Unteren Bachgasse» kapituliert. Dort hat man mir ein Zimmer gebucht. Im Hotel «Orphée». Man muss ganz verboten zwischen den Fußgängern hintuckern, anders bekommt man sein Gepäck nicht dorthin. Das Hotel ist dafür aber ein Traum.
Wenn alle Hotels so wären wie das «Orphée», würden alle Menschen Handelsvertreter werden wollen. Es ist nicht bloß geschmackvoll eingerichtet und freundlich geführt, sondern hat Atmosphäre, was man heute von fast nirgendwo mehr sagen kann. Sogar das Zimmermädchen ist hinreißend. Man wünschte, man wäre ein Bett und würde von ihr frisch bezogen. Aber nun nicht ins Säfteln kommen. Ich bin ja noch nicht vierzig.
Die Lesung findet in der Nähe statt, in einem Saal, der «Leerer Beutel» heißt, was erst einmal alle Alarmglocken schrillen lässt. Leerer Beutel klingt nach schlimmer Studentenkneipe, auf deren Speisekarte «Knobibrot» und «Salat mit Putenbruststreifen» und «Rotwein haut rein» steht. Es stellt sich zu meiner Erleichterung heraus, dass es sich beim «Leeren Beutel» um einen historischen Saal und ein angrenzendes anständiges Restaurant handelt, wo ich vor der Lesung eine Kokos-Linsen-Suppe esse.
Nach der Lesung starke Müdigkeit. Vielleicht habe ich mich bei Klaus Kinkel mit Malaria angesteckt. Der soll das ja angeblich haben. Wäre aber schon sehr erstaunlich, wenn ich das von ihm hätte, denn ich bin ihm noch nie begegnet. So was denkt man, kurz bevor man einschläft.
Morgens im Hotelrestaurant gefrühstückt und Zeitung gelesen: die «tageszeitung», also die «taz», dieses Juwel alternativer Meinungsbildung. Und da wird mir schlagartig klar, was das hier für ein Laden ist. Das ist das Hotel für diese Bütikofers, die in Wahrheit die neue bürgerliche Mittelschicht bilden und die FDP an den rechten Rand der Neoliberalität gedrängt haben. Hier steigen Menschen ab, die gerne teuren Rotwein trinken, in einem
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