In meinem kleinen Land

herzlich wie meine Familie in Italien. Aber sie sprechen Deutsch, was der Konversation Flügel verleiht. Es wird dann ein längerer Abend, als ich das eigentlich vorhatte.

    Straubing hat übrigens einen SPD-Bürgermeister. Die Welt ist voller Wunder.

Starnberg. Stadt im Landhausstil
    26. Oktober 2005
    Ich fahre Richtung Starnberg, wo ich abends um halb acht eine Lesung haben werde. Nach einem Zwischenstopp in München entdecke ich um 18.50 Uhr an meinem Auto hinten links: einen Platten. Hatte ich noch nie in immerhin zwanzig Jahren fleißigen Verfeuerns von fossilen Brennstoffen. Das gibt es doch gar nicht. Es ist schon dunkel, und ich blättere in meiner Betriebsanleitung nach Direktiven für diesen Fall. Ich habe noch nie in das Heft gesehen. Interessante Lektüre, zumal ich auf die Schnelle lerne, mit welchem Knopf die Klimaanlage in Betrieb zu nehmen ist. Hilft mir aber im Moment auch nicht weiter. Ich finde keine Instruktionen, denn das Wort «Reserverad» steht nicht im Register. Das von mir ersatzweise gesuchte «Plattfuß» auch nicht und ebenso wenig «Scheiße», dafür aber «Scheibenwischanlage». Durch Zufall entdecke ich «Notrad» und schlage nach. Ach! Das ist also im Kofferraum unter dem Teppich!? Und eine Flasche mit Gas zum Aufpumpen. Na so was.
    Das Notrad glotzt mich aus dem Kofferraum an und sagt: «Versuch’s nur. Es wird eine große Schweinerei geben, und am Ende fällt der Wagenheber um, und dein linkes Knie wird zerquetscht. Aber wenn du wirklich meinst: Versuch’s nur.» Ich rufe den Notdienst meines Autoherstellers an, und der teilt mir mit, dass meine Mobilitätsgarantie abgelaufen sei, was ich in diesem Moment gar nicht wissen will. Er könne jemanden schicken, aber das dauere eine Dreiviertelstunde. Alles blöd. Zum Glück komme ich dann doch noch pünktlich zu meiner Lesung. Jemand fährt mich.

    Starnberg ist eigentlich nicht so hübsch, wie es sein müsste, um seinem Ruf als Nobelort gerecht zu werden. Es wirkt eher eilig – und laut, denn eine schwierig zu mögende Durchgangsstraße zerteilt den Ort. Obwohl Starnberg also eher nicht zu Missgunst auffordert, konzentriert sich viel Neid und Häme auf dieses kleine Städtchen, weil angeblich so viele reiche Leute dort leben. Jemand hat mir mal erzählt, dass die Gemeinde trotzdem arm sei, weil die reichen Leute zwar in Starnberg wohnten, aber ihre Steuern – wenn überhaupt – in München zahlten. Auch eine hübsche Vorstellung: Superreiche, die in einem Slum wohnen. Starnberg ist aber nicht nur bei Geringverdienern in Salzgitter unbeliebt, sondern auch bei Alteingesessenen in der Region. Dafür kann Starnberg eigentlich nichts. Es musste bloß seinen Namen für den an das Gemeindegebiet grenzenden See hergeben.
    Dieser hieß bis 1962 Würmsee, nach einem Flüsschen, das im Norden des Sees abfließt und den Urin der Badegäste mitnimmt. Die Würm ist klein und schmal und schlängelt sich durchs Würmtal, und bei dem Namen denkt man an Würmer und Wurmkur und verwurmte dicke alte Karpfen. Irgendwer entschied daher, dass «Würmsee» für so etwas Cooles wie diesen See nicht angemessen sei, und dann wurde der See in «Starnberger See» umgetauft. Das klingt, muss man ehrlich sagen, natürlich viel besser. Der Starnberger See ist ein mythischer See, nicht nur weil König Ludwig   II. darin umgekommen ist, sondern auch, weil er ungeheuer tief ist: einhundertsiebenundzwanzig Meter. Schon nach wenigen Metern sind Taucher von Finsternis umgeben, manche verlieren die Orientierung und verirren sich auf Nimmerwiedersehen in den kalten Tiefen.
    Viele ältere Mitbürger sagen jedenfalls nach wie vor Würmsee, schon um ihre Verachtung vor dem Ortskern Starnbergs auszudrücken, der ein wenig aussieht, als sei hier ständig Ärztekongress. Starnberg ist der einzige Ort der Welt, wo relativ primitiv zusammengenagelte Doppelhaushälften nicht «Doppelhaushälfte», sondern «Doppio-Villa» heißen. Eigentlich kann man sich Sarah Connor gut in so einer Doppio-Villa vorstellen. Und beim Einkaufen in Starnberg auch.
    In Starnberg gibt es Jacques’ Wein Depot und Eis an der Strandpromenade. Die Hauptattraktion dieser Tage sind die Einrichtungsgeschäfte, in denen man Gartenbänke im Landhausstil und Paschminadecken für die Couch und dicke Kerzen kaufen kann. Außerdem hat Starnberg ein ganz vernünftiges Kino.

    Nach dem Lesen muss ich noch Fragen von zwei Schülerinnen beantworten, die extra aus München gekommen sind, um mich für ihre