In meinem kleinen Land
Zwanzig Minuten lang. Da müsse noch ein Zugteil angekoppelt werden. Na und? Deshalb kann man doch die Leute in den Zug lassen, oder? Schließlich fahren wir mit einer halben Stunde Verspätung los, und leider, «leider kann der ICE nach München in Mannheim nicht warten. Ich wiederhole: Der ICE nach München kann in Mannheim nicht erreicht werden.» Diese Formulierung klingt immer so, als seien die Fahrgäste schuld: «Da hätten Sie eben früher aufstehen müssen.»
In Mannheim warte ich auf den ICE nach München, der hat achtzig Minuten Verspätung, die ich am Mannheimer Bahnhof mit Herumlatschen und In-Zeitschriften-Blättern totschlage. Als wir nach München losfahren, setzt sich Miroslav Nemec, der Münchner Tatort-Kommissar, auf den Platz neben mir. Ich sage: «So muss das sein, wenn man im Kaukasus reist.» Und er antwortet: «Ich komme aus Kroatien, da ist es auch so.» Er ist sehr freundlich und steht ausgesprochen gut im Strumpf für sein Alter. Ich sage das ohne Neid. Okay, bisschen Neid. Vielleicht.
In München auf die S-Bahn nach Wolfratshausen warten, danach noch zwölf Kilometer nach Hause. Elfeinhalb Stunden nachdem ich in Ennepetal das Taxi angerufen habe, ziehe ich meine Jacke aus und lasse mich auf die Couch fallen. Ich öffne den Rotwein, den ich in Bochum geschenkt bekommen habe. Sehr guter Wein. Crianza. Ich denke an die Taxifahrerin.
Dortmund. Entschuldigung, lieber Mann im Museum!
28. November 2005
Die Fahrt an diesem Montagmorgen dauert sieben Stunden. Im Großraumwagen sitzen ungeschlachte schwäbelnde Frauen im Viererpack, die stinkende Wurstbrote verzehren und sich hemmungslos über das Vereinsleben in Ulm auslassen und – ich schwöre es – einen gemeinsamen Chef namens Weiler. Sie steigen in Mannheim aus, und leider kann man nicht lüften.
Dafür steigt ein Außendienstmitarbeiter ein, mit einem Handyhörer, der hinter dem Ohr verknotet wird. Er spricht in Rätseln. Ob man den Spiff schon im Commission-Plan habe? Der Bernd habe das Spiff-Tool bereits auf dem Rechner. Und ob die Kollegen mittags schon gesoffen hätten? Hahaha. Die seien ja drauf! Und dass bis auf die «K» alles lieferbereit sei. Und dass er nun in einen Tunnel führe. Und das es Kraut und Rüben sei, was bei Fiege passiere. Und dass es von ganz oben eins auf den Deckel gäbe, wenn man es nicht schaffe, die Sache online zu kriegen. Und ob der Termin mit Ratio noch stehe? Es sei ja alles viel Arbeit und wenig Output. Jaja. Und dass er den ganzen Sheet schnell durchpauken müsse.
Zwischen Köln und Düsseldorf ist die Strecke gesperrt, wegen polizeilicher Ermittlungen, was immer das bedeuten mag. Also fahren wir einen Umweg und rollen dann ganz langsam durch Düsseldorf. Da kommt man immer an einem Puff vorbei. Es sitzt nur eine junge Frau am Fenster. Es ist das Fenster mit der Nummer zweiunddreißig. Der Zug fährt sehr langsam, und ich sehe sie ganz genau. Sie ist blond und jung und wunderschön. Ich glaube, sie hat mich auch angesehen. Mich oder einen der anderen Männer, die aus dem Zug in ihr Fenster starren.
Ob wohl einer von ihnen den Weg vom Bahnhof zu dem Bordell zurückläuft? Bestimmt gibt es dort einen Portier.
«Guten Tag.»
«Tag.»
«Ich bin da gerade mit dem Zug vorbeigefahren.»
«Aha.»
«Ja. Und da sah ich eine junge Dame am Fenster zweiunddreißig sitzen.»
«Ja, das wundert mich nicht.»
«Gut. Und ich dachte, dass es vielleicht möglich wäre, mit dieser jungen Frau den Geschlechtsverkehr auszuüben. Gegen Bezahlung natürlich.»
«Sicher lässt sich das einrichten. Wir bieten aber außer dem reinen Koitieren auch andere Spielarten des körperlichen Vergnügens an.»
«Ach. Tatsächlich. Nun bin ich aber neugierig. Was ist denn da im Angebot?»
«Was möchten Sie denn anlegen?»
«Na, ich dachte so an zwanzig Euro. Dreißig?»
«Für diesen vergleichsweise geringen Betrag kann ich Ihnen leider nicht mehr anbieten als eine Flasche Bier und die zehnminütige Betrachtung der jungen Dame von zweiunddreißig. Tut mir leid.»
«Ach so. Vierzig?»
«Kaltes Bier.»
«Das sind ja gehörige Preise, die Sie da aufrufen. Ich bin nicht sicher, ob wir so ins Geschäft kommen.»
«Ich bitte Sie, das sind doch noch gar keine Beträge. Für fünfzig würde sie außerdem zu Donna Summer tanzend ihren zuckenden Leib im Lichte eines Stroboskops winden.»
«Und wie wäre es doch optional mit Geschlechtsverkehr?»
«Der kostet ab einhundertzwanzig Euro. Ich muss Sie allerdings darauf
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