In meinem kleinen Land
trotzdem so sehr entspannt, dass er einknackt, so liegt das auch daran, dass er sich bei dem Vortrag wohlfühlt. So kann man sich das respektlose und total unverschämte Benehmen seiner Mitmenschen jedenfalls schönreden.
Am nächsten Morgen fahre ich zum Aussichtspunkt nach Garzweiler. Das liegt drei Kilometer von Grevenbroich entfernt. Garzweiler war einmal eine Ortschaft. Die ist aber mitsamt ihren Nachbargemeinden in einem dreiundzwanzig Quadratkilometer großen Loch verschwunden. Alle Häuser und Straßen und die ganze Vegetation dort wurden abgerissen und machten dem Braunkohletagebau Platz.
Der Stromkonzern RWE buddelt hier nach Braunkohle, das im bis zu einhundertsechzig Meter tiefen Loch in dunklen Flözen lagert, von riesenhaften Baggern abgetragen und über viele Kilometer lange Förderbänder abtransportiert wird. Wohin man auch sieht, nur aufgeworfene Erde und eine Mondlandschaft, die an ihren Rändern wie Schichtnougat aussieht.
Bald hören sie auf in Garzweiler I. Es ist alles ausgebuddelt, was sich gelohnt hat. Dann wird renaturalisiert, RWE spielt Gott und bastelt eine Landschaft; ein See soll auch entstehen. Gleichzeitig geht es jenseits der Autobahn mit Garzweiler II weiter. Das wird noch viel größer, noch gewaltiger und noch brutaler. Bis 2045 soll dann auf weiteren achtundvierzig Quadratkilometern Braunkohle gefördert werden. Knapp achttausend Menschen in achtzehn Dörfern verlieren ihre Heimat und werden von RWE umgesiedelt. Ob sie wollen oder nicht.
Dass so etwas rechtlich geht, kapiert man als juristischer Laie eigentlich nicht. Da kommt also jemand und sagt: «Guten Tag, wir brauchen Ihr Haus und Ihr Grundstück. Wir reißen es ab und schaufeln ein einhundertfünfzig Meter tiefes Loch. Und Sie wohnen dann woanders. Auf Wiedersehen.» Die Umsiedelungen haben bereits begonnen. Schon jetzt gibt es Geisterdörfer in der Nähe. Und man erzählt von Plünderungen. Fremde kommen und klauen Schilder oder Holztüren. Wird ja sowieso abgerissen, sagen die, wenn sie jemand erwischt. Noch leben ein paar Menschen zwischen Immerath und Kuckum. In ein paar Jahren erinnert nichts mehr an sie. Auch das ist Deutschland.
Bochum. In diesem Text kommt Herbert Grönemeyer nicht vor
24. November 2005
Schlechtes Wetter. Der Schily kommt aus Bochum, der Winter kommt nach Bochum. In dieser Stadt war ich bisher zweimal in meinem Leben. Das erste Mal im Rahmen einer Klassenfahrt zum Bergbaumuseum. Das ist so ungefähr dreißig Jahre her, und ich weiß noch, dass mir in einem Stollen meine auf sechzig Grad erwärmte Capri-Sonne runtergefallen ist. Einer trat drauf, der Beutel platzte, und der Mann vom Museum schimpfte wegen der Schweinerei. Das habe ich damals nicht verstanden, weil doch sowieso alles pottdreckig war in diesem Bergbau. Und dann regen die sich über ein bisschen Orangenfruchtsaftgetränk auf. Ich verstehe es immer noch nicht.
Das zweite Mal, dass ich Bochum besuchte, war wie mein Bonn-Besuch meiner Zugehörigkeit zur Friedensbewegung geschuldet. Es fanden eine Demo und ein großes Konzert im Ruhrstadion statt: «Künstler für den Frieden». Wir saßen auf einer Tribüne, und vorne traten Harry Belafonte, der damals unvermeidliche Django Edwards und die Band Bots auf. Glaube ich jedenfalls. Gesehen habe ich davon nicht viel. Damals gab es noch keine riesigen Videoscreens und so eine richtige Lightshow auch nicht. Die meisten Künstler spielten im Hellen, und der Sound war mies und leise. Den Pazifismus sollte man in Ehren halten, die Veranstalter solcher Festivals aber pfählen. Damals war uns das egal, wir waren ja nicht zum Vergnügen in Bochum, sondern für den Frieden. Da akzeptierte man sogar die schrecklichen Liedtexte von Bots. Die kamen aus Holland, klangen wie Rudi Carrell auf Droge und verkauften in Deutschland Millionen von Platten, auf denen sie vom Frieden, bürgerlichen Ungehorsam und Kommunardenleben sangen. Mit Letzterem konnten wir nichts anfangen, aber das Lied «Aufsteh’n» war ein großer Partyknüller zu der Zeit. Ich glaube, Bots war einfach eine schreckliche Band. Uns fiel damals aber nicht auf, dass die geringe ästhetische Qualität unseres Protestes ungefähr der tatsächlichen Gefahr der atomaren Aufrüstung entsprach. Der Protest war richtig, aber die Hysterie und die schrecklichen Klamotten nicht. Das kann man auch alles stilvoller und klüger machen. Da muss man mal die Globalisierungsgegner loben, die in puncto Musik und Style wirklich mehr draufhaben als
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