In meinem kleinen Land
Autos, erklärt er mir. Ich bitte ihn, in der nächstgelegenen Filiale zu fragen. Die ist in Menden, und dort gibt es ebenfalls keine Autos. Ich nötige ihn, in Hagen anzurufen. Das macht er und teilt mit, auch in Hagen gäb’s keinen Wagen. Eigentlich habe man grundsätzlich nur Autos auf Reservierung.
Ich stelle mir vor, dass der Sixt-Mann morgens in eine Bäckerei geht und ein Brötchen kaufen will. Der Bäcker sagt, dass man keine Brötchen habe und dass dies auch auf sämtliche anderen Filialen zuträfe. Und Brot führten sie auch nicht. Eigentlich gar keine Backwaren. Was würde der Sixt-Mann von so einer Bäckerei halten? Ganz einfach: nichts. Er würde eine andere Bäckerei aufsuchen.
Das mache ich auch und schleppe mein Gepäck auf Anraten des Sixt-Angestellten zu Avis. Mein Ansinnen, ein Auto zu mieten, findet der Avis-Bursche zum Piepen, und dann erklärt er mir, dass er kein Auto habe. Ich verlasse diesen kafkaesken Ort, fahre mit dem Zug von Iserlohn nach Düsseldorf und leihe am dortigen Hauptbahnhof bei Sixt das letzte Auto.
Ich verbringe den Rest des Tages bei meinen Eltern und untersuche den Kühlschrank und die Schränke nach abgelaufenen Lebensmitteln. Das ist mein Hobby. Obwohl ich es seit Jahren ausübe, wenn ich zu Besuch bin, finde ich immer etwas. Zum Beispiel Gelatine, mindestens haltbar bis Juni 1992. Meine Mutter behauptet, Gelatine halte sich ewig. Das mag wohl sein und verweist darauf, dass sie die Packung vermutlich im Jahre 1979 gekauft hat, wenn sie ewig, also bis 1992, haltbar war. Das Verpackungsdesign scheint das jedenfalls zu bestätigen. Und der Preisaufkleber stammt von einem Supermarkt, der schon vor vielen, vielen Jahren geschlossen wurde. Da muss ich sehr lachen. Es findet hier gerade die Austragung des Generationenkonfliktes zwischen den letzten Deutschen statt, die noch hungern mussten, und ihren Kindern, die nie hungern mussten.
Abends dann Hagen. Ist das nicht die Heimatstadt von Extrabreit und Nena? Die ging ja, wenn ich mich richtig erinnere, damals von Hagen nach Berlin und jobbte bei dem Musikmanager und Fotografen Jim Rakete. In Berlin wurde sie jedenfalls entdeckt und startete ihre Karriere. Ich möchte folgende Theorie in den Raum stellen: Wäre Hagen bloß ein bisschen schöner und interessanter, dann wäre Nena nicht nach Berlin geflüchtet, und uns wäre «Kleine Taschenlampe brenn’» erspart geblieben.
Außerdem in Hagen: Brandt-Zwieback. Das Leben ist hier also nicht nur hart, es krümelt auch, und zwar an allen Ecken und Kanten. Was die alte Bausubstanz angeht, zerbröselt Hagen wie ein Stück Zwieback.
Wie erwartet, hat Hagen auch einen Weihnachtsmarkt, vergleichsweise klein. Da gibt es Hot Dogs. Hmm. Wenn ich mich recht erinnere, bestehen Hot Dogs aus einem Wiener Würstchen, das mit gerösteten Zwiebeln, Essiggurken, Mayo und Ketchup, vielleicht auch Senf in ein weiches Brötchen gelegt wird. So kenne ich das. Bei Ikea gibt es ganz passable Hot Dogs und in New York natürlich sowieso an jeder Straßenecke.
Ich bestelle also ein Hagener Hot Dog, und was soll ich sagen: In Hagen werden die Hot-Dog-Würstchen frittiert! Shocking! Die Frau FRITTIERT den Hot Dog.
Hagen, Stadt der frittierten Hot Dogs.
Bin nach der Lesung erst gegen zwei Uhr nachts im Bett und muss noch ein bisschen fernsehen. Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. «Bundeskanzlerin Merkel», sagen die Nachrichtensprecher jetzt. Ich bin überrascht, dass ich mich daran so schnell gewöhne: «Bundeskanzlerin Merkel».
Eigentlich dachte ich, dass ich größere Schwierigkeiten damit haben würde. Genau wie damals mit den fünfstelligen Postleitzahlen. Ich habe gedacht, die setzen sich nie durch. Es gab deshalb dieses mediokre Comicmännchen, diesen Fünf-Finger-Rolf, der uns an die Postleitzahlen gewöhnen sollte. Aber eigentlich war der Rolf ganz unnötig, die fünfstelligen Postleitzahlen schraubten sich auch so im Bewusstsein der Deutschen fest. Ging ganz schnell damals.
Was der Postleitzahl ihr Rolf, ist der Angela Merkel ihr Joachim.
Meerbusch. Kleine Stadt. Große Aufregung
1. Dezember 2005
Die Stadt Meerbusch ist in Wahrheit keine Stadt. Es handelt sich eher um die Zwangsvereinigung einiger Dörfer, die dafür gar nicht vorgesehen waren. Wenn man es recht bedenkt, waren erdgeschichtlich nicht einmal die Dörfer vorgesehen. Sie entstanden aus purem Zufall in göttlicher Sektlaune.
Die Schöpfungsgeschichte Meerbuschs geht ungefähr so: Gott erschuf also
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