In meinem kleinen Land
aufregende, aber zugleich niemals gefährliche Spannung herrschte. Jetzt ist eine Techno-Disco drin. Sieht jedenfalls von außen so aus. Ich war seit vielen Jahren nicht mehr da. Den Rest der Altstadt, die selbsternannte «längste Theke der Welt» mit ihren miesen Pizzabuden und Spießerkneipen, fanden wir langweilig, da brachten uns keine zehn Pferde hin.
Wenn ich in Meerbusch bin, erkundige ich mich immer bei meinen Eltern nach den Nachbarn. In letzter Zeit wird dort beunruhigend häufig gestorben. Die Generation unserer Eltern wird gebrechlich. Sie kauft auch nicht mehr so viel ein, weil sie immer weniger isst. Die Straßen, auf denen früher fünfzig Kinder spielten, sind leer.
Ich bin immer ein wenig traurig, wenn ich in Meerbusch bin. Meine Freunde aus der Schule sind weggegangen wie ich, sie haben Kinder, sind schon wieder geschieden, oder sie sind immer noch da und haben sich damit abgefunden. Ich habe kaum noch Kontakte hier. Vielleicht sind es fünf. Oder nur vier. Aber ich habe gehört, dass heute Abend ein paar zu meiner Lesung kommen wollen. Es gibt ein paar Leute, die ich in Verdacht habe, laut zu johlen, sobald sie mich sehen. Aber alles geht gut. Eine Freundin fährt mich später nach Hause, wo ich vor lauter Aufregung nicht einschlafen kann. Wegen der Ratten.
Meerbusch hat nämlich ein Rattenproblem. Ausgerechnet das saubere Meerbusch. Die Stadt legte Gift in den Abwasserschächten aus, um die Plage zu bekämpfen. Alle vergifteten Gullys sind mit einem roten Punkt markiert. Meine Mutter hat sich wegen dieser Markierungen erst gesorgt. Man kennt das ja von Einbrecherbanden, die in Wohngegenden Häuser kennzeichnen, in die man einbrechen kann. Sie informierte sich dann, und es hieß: Da, wo die Punkte sind, liegt Gift. Also auch direkt vor ihrem Haus.
Erkrath. Die geblendete Frau
2. Dezember 2005
Erkrath ist in seiner Nachbarschaft als der Ort bekannt, wo mehrere Autobahnen aufeinandertreffen. Etwas weiter oben mündet die A44 auf die A3, ein paar Kilometer südlich kreuzen sich A46 und A3. Es ist viel Verkehr, und Erkrath ist jeden Tag im Radio – wenn die Staumeldungen kommen. Man rauscht so durch. Haan, Hilden, Mettmann und eben Erkrath. Alles Orte, von denen nichts haftenbleibt, was natürlich wieder ungerecht und einseitig betrachtet ist.
Sicherlich wäre Erkrath weltberühmt, wenn es nicht Erkrath hieße, sondern Neander, denn genau dort befindet sich das Neandertal, wo vor zweihunderttausend Jahren der megahammermäßig berühmte Neandertaler gelebt hat. Weiß aber leider kaum jemand, außer die Erkrather.
Noch zwei Sachen, die man nur in Erkrath weiß: Hier gibt es die steilste ohne Zahnradstange betriebene Eisenbahnstrecke Deutschlands. Sie führt von Erkrath nach Hochdahl. Und: Erkrath war im neunzehnten Jahrhundert mal Kurort, was man einer schwefelhaltigen Quelle verdankte. Damals sprach man von Erkrath als dem bergischen Nizza. Reiche Düsseldorfer lebten hier, es entstanden ein prachtvolles Kurhaus, Badehäuschen und Respekt heischende Villen. Um 1870 versiegte die Quelle, und damit war die kurze glanzvolle Karriere von Erkrath auch schon wieder vorbei.
Erkrath ist heute wie Meerbusch ein Vorort von Düsseldorf, allerdings auf der rechten Rheinseite. Die Stadt feiert demnächst ihr vierzigjähriges Bestehen. Seit 1975 gehört Hochdahl zu Erkrath, was die Hochdahler offenbar verbittert. Jedenfalls legen sie bei der Lesung im evangelischen Gemeindesaal großen Wert auf die Feststellung, dass ich in Hochdahl sei und NICHT in Erkrath. Das ist irgendwie vermintes Gebiet, vielleicht hatten die mal Krieg.
Bremen. Magensäure frisst Lebensfreude
7. Dezember 2005
Die neue Woche führt mal wieder in den Norden unserer unförmigen, ausgefransten Republik. In das sympathische Bremen. Es gilt als pleite, aber schön. Die freie Hansestadt ist aus Gründen, die mit der föderalistischen Schrulligkeit unseres Staates zu tun haben, unter Hinzufügung von Bremerhaven sogar Bundesland. Heute habe ich die größtmögliche Konkurrenz: Champions League, Heimspiel im Weser-Stadion. Da kommen nur Frauen, ganz sicher.
Am Bremer Flughafen werde ich von zwei Mitarbeitern der kleinsten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt Deutschlands abgeholt. Zuerst muss ich in eine Live-Mittagssendung von Radio Bremen. Diese wird von einer Frau moderiert, die sich in eine Moderationstaube verwandelt, sobald sie on air ist. Sie spielt «Wildflowers» von Tom Petty und gurrt dann: «Ein Strauß wilder Blumen,
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