In meinem kleinen Land
überreicht von Tom Petty.» Ich schwöre, während die Musik lief, war sie noch ganz normal.
Radiomenschen sind entspannter als Fernsehleute. Und beim Radio kommt es auch nicht so sehr auf die Optik an – das gilt übrigens nicht nur für das Programm. In einem Funkhaus rennen Gestalten rum! Man meint, es handele sich bei einem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender um ein Ausbildungszentrum für Schiffsschaukelbremser. Andererseits sind alle sehr freundlich.
Danach gehe ich spazieren und sehe mir die Fußballfans von Panathinaikos Athen an, die irritierenderweise nicht von den Bremer Anhängern zu unterscheiden sind, weil beide grün und weiß gekleidet sind. Die Polizeiwagen in der Innenstadt haben dasselbe Dekor und sehen aus wie Fan-Mobile. Ich besichtige den Dom und würde auch gerne die Mumien bestaunen, aber der Bleikeller hat geschlossen. Gehe ich halt über den Weihnachtsmarkt, danach durch das Schnoorviertel, so heißt die historische Fachwerkgasse hier. Es schieben sich mehrheitlich Senioren auf der Suche nach Kuchen hindurch.
Am späten Nachmittag geht es nach Nienburg, wo ich heute Abend lese. Es ist nicht wirklich viel los hier. Ich habe noch ein wenig Zeit und laufe durch die Fußgängerzone, deren Beleuchtung genau wie der Weihnachtsmarkt gerade ausgeschaltet wird. Stecker raus, Dunkelheit, Feierabend. Laufe ersatzweise in eine Kneipe und blättere in einer Zeitschrift namens «Nienburger Journal», wo große Formulierungskünstler am Werk sind. Ein Beitrag trägt den alarmierenden Titel «Magensäure frisst Lebensfreude». Na, so was! Auch gut: «Rückenschmerzen: Es geht auch ohne Cortison.»
Mein Lieblingstext handelt von Korporal Dieter Schröder, der die Kommission zur Planung des wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisses in Nienburg leitet, dem Winterball des Offiziers- und Unteroffizierscorps der Bürgerkompanien der Stadt. Über Dieter Schröder heißt es hier: «In Sachen Ball ist er ein alter Hase.»
Die Lesung (geschätzter Männeranteil tatsächlich 3,4 Prozent) findet in einem modernen Saal der Sparkasse statt. Hinterher bekomme ich vom Sparkassenchef einen Karton mit zwei Flaschen Wein und einem Christstollen geschenkt. Danke sehr.
Erfurt. Müde bei Fröhlich
9. Dezember 2005
Diese Stadt gehört zu den gleichzeitig angenehmsten und nervtötendsten Orten Deutschlands. Angenehm, weil wirklich eine Reise wert, nervtötend, weil praktisch nicht erreichbar. Erfurt ist nur gut mit dem Hubschrauber zu bereisen. Da mir kein Hubschrauber zur Verfügung steht, nehme ich den ICE von Bremen nach Göttingen, von dort geht es mit einem Regionalzug weiter. So reist man Stunde um Stunde durch eine Gegend, in der man sich Postkutschen gut vorstellen kann. Thüringen ist schön, außer man hat es eilig.
Ich muss heute nach Erfurt, weil der dort ansässige Mitteldeutsche Rundfunk mich in die Sendung «Fröhlich lesen» eingeladen hat. Gastgeberin dieser kleinen Plauderrunde ist Susanne Fröhlich, vor der ich mich fürchte. Sie besitzt nach allem, was man weiß, ein forsches Wesen und eine erstaunliche Anzahl von langen dicken Haaren. Komisch, aber das macht mir nun einmal Angst.
Der MDR ist ganz anders als Radio Bremen, nämlich super topmodern. «Klar», denken jetzt Leser aus dem maroden Bremen. «Die da drüben kriegen’s wieder vorne und hinten reingeblasen. Bei uns in Bremen gehen die Geräte in der Rundfunktechnik nicht, und die in Erfurt haben natürlich ein picobello Studio mit blitzblanker Technik und einem superschicken Foyer.» Tja, das kann ich jetzt nicht ausräumen. Das ist wohl so. Andererseits mussten die in Erfurt auch vierzig Jahre darauf warten, in einem schönen Haus ein von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geprägtes Programm machen zu dürfen. Was dabei rauskommt, ist zwar zum Teil sehr seltsam, aber das mögen die Leute hier. Basta.
Susanne Fröhlich stellt sich trotz der vielen Haare und dem riesigen Mund als eine ausgesprochen angenehme Dame heraus. Als ich sie sehe, denke ich: Das ist eine Frau, der man augenblicklich was Süßes schenken muss. Also überreiche ich ihr zur Begrüßung den Christstollen aus Nienburg. Diese vertrauensbildende Maßnahme verringert deutlich das Risiko, von Frau Fröhlich verspeist zu werden. Nach der Sendung sitzen wir noch bei Kaffee und belegten Broten zusammen und plaudern. Dieses Gespräch ist eigentlich besser als das in der Sendung. Man sollte diese Unterhaltungen senden und nicht die eigentliche Aufzeichnung.
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