In meinem kleinen Land
Deutschland und malte mit einem blauen Pinsel den Rhein. Anschließend griff er nach einem roten Pinsel und kleckste die Städte als größere Punkte ans Ufer, mal links vom Rhein (Köln), mal rechts (Düsseldorf), wieder links (Krefeld) und wieder rechts (Duisburg). Dann nahm er einen Schluck Champagner, weil er so zufrieden war. Der Champagner kitzelte ihn in der Nase, und er musste niesen, hatte aber noch den Pinsel in der Hand. Aus dem Pinsel spritzten rote Tröpfchen und landeten genau zwischen Düsseldorf und Krefeld, auf der linken Rheinseite. Der Schöpfer überlegte, ob er einfach ganz viel rote Farbe nehmen sollte, um alle roten Punkte im Umkreis zu einer riesengroßen Stadt zu übermalen, aber das hatte er schon in Hamburg und in Berlin gemacht, und es gefiel ihm nicht besonders.
Also ließ er die kleinen roten Fleckchen kleine rote Fleckchen sein und gab ihnen (er war ein klein wenig beschwipst) sehr merkwürdige Namen: Ossum-Bösinghoven, Lank-Latum, Strümp, Osterath, Büderich, Ilverich, Nierst und Langst-Kierst.
Danach trank er sein Glas aus und ging mit seinem Hund zum Altglascontainer, um die leere Flasche wegzubringen. Dabei erkältete er sich, bekam einen mörderischen Schnupfen und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Kurz darauf entstand unter furchtbarem Geniese das Ruhrgebiet.
Viel später wurden die Dörfer zwischen Krefeld und Düsseldorf im Rahmen irgendeiner Gebiets- oder Verwaltungsreform unter dem Namen Meerbusch zusammengefasst. Eigentlich wollte Düsseldorf gerne den Ortsteil Büderich eingemeinden, weil da so viele reiche Steuerzahler wohnen, aber das klappte irgendwie nicht. Meerbusch wurde also Meerbusch. Den Namen der Stadt haben sie sich irgendwie bei einem Brainstorming ausgedacht, er ist jedenfalls nicht älter als die Stadt selbst. Die sollte erst «Rheinaue» heißen, aber der Name war nicht sehr originell, Rheinaue gibt es schon ein paarmal. Also Meerbusch. Es hat ein Hallenbad im Angebot, zwei Gymnasien, 55 000 Einwohner und eine gute Kneipe.
Die Meerbuscher Dörfer verteilen sich auf eine nicht unerhebliche Fläche, dazwischen liegen Felder und Wälder, und das könnte ganz schön sein, aber überall sind Autobahnen in der Nähe, die das Stadtgebiet sauber teilen wie Linien auf einem Schnittmusterbogen. Ich bin in Strümp aufgewachsen. Dort und im Ortsteil Ilverich wurde vor einigen Jahren ein neuer Autobahnabschnitt der A44 nebst Rheinbrücke gebaut. Man ist jetzt von dort aus in weniger als zehn Minuten am Düsseldorfer Flughafen. Dafür hat man aber auch einen furchtbaren Lärm im Garten. Bei schönem Wetter hört man die Autos über die Brückenschweller fahren: «Flappflapp» macht das.
Ich bin vor fünfzehn Jahren weggezogen. Seitdem hat sich die Stadt nicht unbedingt zu ihrem Vorteil verändert. In Lank-Latum hat man den Ortskern verkehrsberuhigt, in Osterath ebenfalls, was zumindest im letzteren Fall dazu geführt hat, dass man nun kaum mehr ins Dorf kommt. Man hat sich gegen Besuch von außen abgeschottet und eine Umgehungsstraße gebaut. Osterath ist die DDR Meerbuschs.
In Strümp soll an der Autobahn ein neues Wohngebiet mit winzigen Reihenhäuschen entstehen. Angeblich läuft der Verkauf der Grundstücke nicht besonders, weil erstens das Grundwasser auf dem zu bebauenden Acker sehr hoch steht und zweitens die Nähe zur Autobahn nicht ernsthaft als Verkaufsargument herhalten kann. Man wirbt mit der Nähe zu Düsseldorf und dessen Flughafen. Schon merkwürdig: Menschen sollen irgendwo hinziehen, weil sie von dort schnell wegkönnen. Wenn Sie das jetzt merkwürdig finden: Das ist niederrheinische Dialektik.
Wir Jungs orientierten uns mit vierzehn Richtung Düsseldorf. Sobald wir alt genug waren, fuhren wir mit der Straßenbahn in die Altstadt, wo wir auf der Ratinger Straße landeten. Das war in den achtziger Jahren eine Art Abenteuerspielplatz für Jugendliche. Man trank Bier und stand herum und wechselte ständig das Lokal. Man begann entweder in der «Uel» oder im «Einhorn», wo man gut flippern konnte. Danach gingen wir in den berühmten «Ratinger Hof», dem damaligen Zentrum deutscher Sub- und Popkultur. Man hoffte immer, vielleicht mal Beuys oder Immendorf oder wenigstens Lüpertz dort zu sehen, aber die waren in den Achtzigern nicht mehr dort.
Im «Ratinger Hof» gab es auch Konzerte, meistens aber stand man rum und wartete auf irgendwen. Dass er damals ein berühmtes Lokal war, war uns nicht bewusst. Wir waren gerne dort, weil eine
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