In meinem kleinen Land
Das ist oft so beim Fernsehen. Das Beste sieht man gar nicht.
Der Flughafen von Erfurt ist sehr putzig, genau wie das Flugzeug nach München. Es handelt sich um eine stark schaukelnde Indiana-Jones-artige Propellermaschine. Mir ist schlecht. Zu viel Kaffee in Erfurt. Ich sollte gar keinen Filterkaffee trinken.
München. Hirsepelz und Zimtschuhe
12. Dezember 2005
Seit Jahren geht München dem Rest der Welt mit einer Formulierung auf den Wecker, die zum Ausdruck bringen soll, dass sich in Bayern und eben ganz besonders in München Tradition und Gegenwart im scheinbaren Gegensatz, aber eben enorm erfolgreich und somit natürlich beispielgebend verbinden. Die Horrorformulierung lautet «Laptop und Lederhose» und hat den Freistaat mitsamt seiner Hauptstadt schon oft in Misskredit gebracht, weil es durchaus Menschen gibt, die den technischen Fortschritt eines Landes für selbstverständlich und die Tradition nicht unbedingt für erwähnenswert und den ganzen Ausdruck daher für das genaue Gegenteil von gelebtem Selbstbewusstsein halten. Dies alles ändert aber nichts daran, dass München nicht nur die deutsche Großstadt mit der höchsten Bevölkerungsdichte, sondern auch die lebenswerteste ist. Wer hier wohnt, hat es gut: Die Stadt ist schön, das Klima angenehm und die Stimmung nicht zu aufgedreht. Millionendorf sagen die Berliner dazu, aber selbst zugereiste Münchner haben für derartige Anfeindungen bloß ein Schulterzucken übrig. Genau diese Lässigkeit, die einen der Ort lehrt, die man nicht üben und nicht künstlich herstellen kann, wie es in Berlin immer versucht wird, diese Lässigkeit, die ist das Beste an München.
München ist unter anderem bekannt für seine Volksfeste. Das Oktoberfest kennt jeder, aber das ist natürlich bei weitem nicht alles. Das Tollwood-Festival zum Beispiel bildet den alternativen Gegenentwurf zu Christkindlmarkt und Musikantenstadl. Im Sommer findet ein Tollwood-Festival statt und eines im Winter. Im Sommer kann man bunte Mützen mit Glöckchen dran erwerben. Und Räucherstäbchen und allerlei esoterischen Krimskrams für die Badewanne und leuchtende Riesensalzkristalle, die man sich in die Bude stellen kann. An jeder Ecke trifft man auf jonglierende Lebenskünstler in zu engen Lederhosen, im Musikzelt spielen Emerson, Lake und Powell oder Herman van Veen, und es gibt Falafel und Knoblauchsoße. Falafel haben sie aber auch im Winter. Und ein Musicalzelt, in dem «Poe» gespielt wird, ein Dramolett mit Musik von Heinz-Rudolf Kunze für alle, denen Edgar Allan Poe nicht gruselig genug ist.
Auf dem Winter-Tollwood steht ein gigantisches Zelt mit dem sogenannten Basar. Da haben viele auf mittelalterlich gemachte Kleinhändler ihre Stände drin aufgebaut und verkaufen drollige Sachen. Zum Beispiel Hirsepelz. Würde ich gerne kaufen, bloß um des Namens willen. «Was trägst du denn da?» «Hirsepelz natürlich!» Woanders gibt es Zimtschuhe. Man wirbt mit dem Satz: «Natürliche Wärme ohne Schweiß.» Das Tollwood zieht wirklich alle Register des heiteren Konsums von Konsumkritik unterlaufenden Konsumgütern. Das Lesezelt heißt – hihi – «Wörtersee» und das Clubzelt – haha – «Gabi Dom». Man kann in der «Genusswerkstatt» essen oder im «Almrausch» was trinken. Das Tollwood-Festival ist eine große, nach Zwiebeln und Punsch duftende Wortspielschmiede.
Trotzdem ist es natürlich eine Ehre, hier aufzutreten, weil die Veranstalter ein sehr gutes Programm auf die Beine stellen. Die Wahrheit ist aber auch: Es macht genauso viel Spaß, über die scheinbar antibürgerliche Spießigkeit des Tollwood-Festivals zu lachen wie über die bürgerliche Spießigkeit der Musikantenscheune. Beruhigendes Fazit: Wir Deutschen sind alle kleine Spießer.
Nach der Lesung noch mit Freunden in meiner Lieblingsbar. Es ist auch ein Wiener dabei. Ich liebe es, wenn Wiener was erzählen. Dieser leicht träge, fast herablassend klingende Ton. Wunderschön. Das bekommen wir Deutschen einfach nicht hin. Ich trinke Guinness, esse ein Käsebrot und lausche dem Wiener Gesang von gegenüber. Versuchen Sie mal, Arschloch auf Wienerisch zu sagen. Das hat wirklich Sex. Oaschlooch.
’s ist Advent.
München. Darf man bügeln, wenn es um Hitler geht?
14. Dezember 2005
Am Wochenende lache ich sehr, als ich eine Anzeige in der Zeitung sehe. Die bewerben da Bücher von Paulo Coelho, und unter den abgebildeten Titeln steht: «Aus dem Brasilianischen von …», und dann kommt ein Übersetzername.
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