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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Wind, sondern auch dem Genörgel seiner Kritiker ausgeliefert sein würde.
    Franz Beckenbauer übertrieb es damit, indem er vor ein paar Jahren maulte, dass sich doch wohl hoffentlich ein paar Terroristen fänden, die eine Bombe dort hineinwerfen könnten, um damit Platz für ein neues Stadion zu machen. Seltsamerweise nimmt ihm keiner den Quatsch übel, den er verzapft. Beckenbauer ist unzerstörbar. Jedenfalls kann man sich gut vorstellen, wie Hans-Jochen Vogel zu Hause vor dem Fernseher sitzt. Im Hintergrund sieht man das – sein – Olympiastadion, und dann kommt Franz Beckenbauer ins Bild und schnattert den Satz mit der Bombe ins Mikrophon. Apokalyptische Wut bei Vogel. Er fertigt umgehend eine Aktennotiz an: «F. B. sofort aus dem Geburtstagsgrußkalender streichen.»

    Heute nach Konstanz. Ich freue mich darauf, denn Konstanz liegt bekanntlich am Bodensee, und das ist ein von Mythen umrankter Ort, besonders wenn die Apfelbäume blühen. Das geschieht zwar erst in ein paar Monaten, aber egal. Hier ist es schön, hier muss es schön sein. Leider gibt es dafür heute keine Indizien, denn das Wetter ist immer noch grau, neblig, trüb. Der Zug rattert stundenlang, heute fahre ich nur Regionalexpress. Und man sieht nichts als gefrorene Äcker, schockgefrorene Wälder und auf den Bahnhöfen vermummte Deutsche, die missgelaunt über mit Rollsplit bestreute Bahnsteige rutschen. Für Trolleys sind diese Steinchen übrigens Gift. Ob Konstanz tatsächlich am Bodensee liegt oder diese Behauptung lediglich ein Marketing-Trick der Tourismusbranche ist, lässt sich nicht endgültig klären. Nebel mit Sichtweiten unter zwanzig Metern.
    Auf jeden Fall ist Konstanz hübsch anzusehen. Es wurde im Krieg nicht zerstört, keine einzige Bombe fiel. Angeblich ist dies dem besonderen Geschick der Konstanzer bei der Abwehr von Fliegerangriffen zu verdanken. Man erzählt mir, die Konstanzer hätten sich gemeinschaftlich nicht an das nächtliche Verdunklungsgebot gehalten. Sie machten absichtlich Licht an, damit die alliierten Bomber annahmen, es handele sich da unten nicht um mühsam verdunkeltes deutsches Gebiet, sondern um die neutral beleuchtete Schweiz.
    In Konstanz leben ungefähr 80   000 Menschen, davon 10   000 Studenten. Man kann Politik studieren und Verwaltungswissenschaft oder so ähnlich. Und Jura. Es müsste also eigentlich ein trostloser Ort sein. Ist es aber gar nicht. Vorausgesetzt, es gibt diesen Bodensee tatsächlich, möchte ich an dieser Stelle unbedingt eine Reise nach Konstanz empfehlen. Fahren Sie aber im Sommer hin.

    Als ich abends am Ort der Lesung eintreffe, wundere ich mich etwas über das Ambiente, denn es laufen zahlreiche angeschickerte Karnevalisten und Karnevalistinnen herum. Aus einem Saal scheppert entsprechende Musik, und ich werde nervös. In einer Karnevalssitzung werde ich bestimmt nicht auftreten! Ich frage einen Typen, der schlaff in einem verglasten Kabuff rumhängt und offenbar Pförtnerdienste versieht, wo denn die Lesung sei. Er schaut mich amüsiert und ein wenig mitleidsvoll an, bewegt das Kinn nach rechts und sagt: «Oben. Treppe rauf.» Meine Lesung findet im Saal über dem mit der Karnevalssitzung statt.
    Leider hat der Hausmeister irgendwie nicht mitbekommen, dass hier heute jemand liest. Der Saal ist demzufolge unbeheizt. Immerhin kann man aufschließen und Licht machen. Kalt, kalt, kalt. Komme mir vor wie im Fronttheater. Komischerweise hört man während der Lesung nichts von der Karnevalsmusik im Saal darunter.
    Auf dem Rückweg zum Hotel gerate ich in eine Gruppe besoffener Studenten. Wie alt die wohl sein mögen? Dreiundzwanzig? Fünfundzwanzig? Ich kann euch nur sagen: Studiert, solange ihr könnt. Studieren ist einfach besser als arbeiten. Wenn ihr nämlich später in Kanzleien, Verwaltungen oder im Management arbeitet, ist es mit dem Vergnügen vorbei. Besonders, was die Sprache angeht.

    Hier einige der allerschlimmsten Formulierungen aus dem Wirtschaftsleben. Will ein Manager einem anderen Manager sagen, dass dieser völlig falsch liegt, dann sagt er genau das Gegenteil, nämlich: «Bis hierhin bin ich mit Ihnen d’accord.» Der folgende Satz beginnt dann zwangsläufig mit «aber». Die Alternative dazu lautet: «Da bin ich ja ganz bei Ihnen, aber …»
    Man stelle sich vor, wie es klingt, wenn solche Typen mit ihren Kindern reden: «Benedikt-Leon, du hast jetzt zwei Handlungsoptionen. Entweder du betätigst zeitnah den Lichtschalter, oder der Zeitkorridor deiner

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