In meinem kleinen Land
gerade die Paris Bar Pleite gemacht. Armes, altes Otto-Sander-Berlin.
Im Hotel lege ich mich aufs Bett und schlafe ein. Um acht ist meine Lesung.
Die Lesung findet im sogenannten Prenzelberg statt. Prenzelberg sagen nur die Zugereisten. «Det heißt Prenzlauer Berg», mault der Taxifahrer. Wie erwartet sind nicht sehr viele Leute da, gemessen an der Größe der Stadt. In Kleinstädten kommen mitunter zwei- oder dreimal so viele. Aber in Berlin sind sie verwöhnt. Nach der Lesung könnte ich auf eine Party gehen. Bin aber zu müde. In Berlin müde zu sein, ist natürlich verboten. Müde sein kann man in Hildesheim oder in Grevenbroich. In Berlin gehört sich das nicht. DA IST ES AUFREGEND! Ich gähne nicht einmal, als ich mich hinlege. Sofortiger Tiefschlaf. Träume von einer Dreizimmerwohnung in Wolfgang Thierses Bart.
Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Taxi zum Reichstag. Ich will mir mal diese Norman-Foster-Kuppel ansehen und rechne mit einer langen Schlange. Ist aber keine da. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass auch Berlin gar nicht da ist. Es ist heute nämlich so diesig, dass man nur die Charité sehen kann. Und unten im Plenarsaal ist eine Sitzung. Ob ich da auf die Tribüne könne, frage ich unten im Empfang. Neee, natürlich nicht. Die Dame ist regelrecht schockiert über die Frage. «Beim nächsten Mal im November anfragen», sagt die Frau, und das finde ich jetzt ziemlich unverschämt. Wie kommen die sich eigentlich vor mit ihrem komischen Bundestag. Wohl Merkel mit Madonna verwechselt. Da will man so ’n kleenet bisschen Demokratie live erleben, und die lassen einen nicht rein.
Geh ick halt woandas hin. Hinter dem Reichstag stehen mindestens fünfhundert Mercedes-Limousinen. Klaro: Die Damen und Herren Abjeordneten müssen gleich zum Flughafen. Ab innen Wahlkreis, is ja Wochenende. Ich gehe zum Spreeufer und blicke auf Zehntausende Eisschollen, die armdick im schwarzen Wasser schaukeln. Man bekommt Lust, hineinzuspringen. Es weht ein Moskowiter Wind durch Berlin, und ich entschließe mich, zur Nationalgalerie zu fahren, denn dort soll es eine Picasso-Ausstellung geben. Ich stehe zwar nicht so auf Picasso, aber das muss man mitnehmen, ist schließlich Berlin. Nachdem ich das Taxi verlassen habe, stelle ich fest, dass die Picasso-Ausstellung in der NEUEN Nationalgalerie hängt, ich hingegen hänge vor der ALTEN Nationalgalerie, allerdings im NEUEN Berlin. Museumsinsel. Keine Sau zu sehen. Ich entscheide nun, das Pergamon-Museum zu besuchen, was klug ist.
Danach irre ich am Berliner Dom herum und sehe mir den Palast der Republik von außen an. Da war ich mal drin. Einundzwanzig Jahre ist das her. Wir waren auf Klassenfahrt in Westberlin, und an einem der Tage besuchten wir unter Schaudern und Gelächter den Osten. Das war am 8. Mai. Alle Läden geschlossen. Es gab nur zwei Möglichkeiten, den Zwangsumtausch auf den Kopf zu hauen. Vor dem Palast der Republik stand ein Softeis-Stand, anbei eine Schlange von circa zweihundert Ostberlinern. Und im Palast der Republik gab es eine geöffnete Bar. Wir bestellten dort Gin Tonic, der zwar mit Wodka serviert wurde, aber bloß zwomarkeinundachtzig kostete. Es gelang uns nicht, den Zwangsumtausch zu versaufen, also knallten wir das restliche Geld auf den Tisch, bevor wir gingen. Ich glaube, dies war gängige Praxis bei Millionen von Touristen. Kellner im Palast der Republik zu sein war damals bestimmt ein einträglicher Job.
Im Taxi zum Flughafen erzähle ich dem Fahrer von meinem vergeblichen Versuch, auf die Besuchertribüne des Reichstags zu kommen, und frage den Mann, ob er freitags viele Abgeordnete zum Flughafen fahre. «Nee, freitags nich so, da is selten Sitzung», antwortet er. Aber heute schon, entgegne ich. «Nee, da war heute Vormittag die Gedenkstunde zur Befreiung von Auschwitz», sagt er. Da halte ich mein Maul.
Tübingen. Der Neckar friert. Ich auch
31. Januar 2006
Und wieder beginnt eine Woche mit Zugfahren. Es geht in die schwäbische Provinz, ins Neckartal. Umsteigen in Stuttgart, dann mit dem Regionalexpress nach Tübingen, angeblich eines der großen geistigen Zentren unseres Landes. Mal sehen.
In Tübingen stellen die GRÜNEN die größte Rathausfraktion. Ach, wie reizend, dieses Tübingen. Hier möchte man gleich studieren, am liebsten jahrzehntelang. Wenn ich ein Tübinger Student wäre, würde ich vielleicht in Herrn Steins Hauptseminar «Sozialarbeit und Geld» gehen. Das gibt es wirklich. Das Thema lädt zu
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