In meinem kleinen Land
Silvesterrakete, wies mich noch darauf hin, er habe jetzt zwei Stunden auf die Fahrt gewartet. Himmelherrgott, da kann ich doch nichts für! Muss ich nun Schuldgefühle haben, weil der Mann mit einer dreiminütigen Fahrt nur sechs Euro verdient hat?
Das Zimmer in Speyer ist von eher klösterlichem Zuschnitt, hat aber eine Wanne, auf dass ich mir ein schönes Bad einlasse. Frisch gebadet trete ich auf die Maximilianstraße und entscheide, sofort eine Mütze zu kaufen, denn meine Gehirnströme frieren fest. Ich erwerbe also eine wollene Mütze, mit der ich doof aussehe. Dann sehe ich mir den Dom zu Speyer an. Den Kaiserdom. Auch Speyer ist Bischofssitz. Anders als in Rottenburg habe ich heute endlich mal wieder die Muße, längere Zeit in einer Kirche zu verbringen.
Der Dom zu Speyer ist die größte romanische Kirche der Welt. Es wurde knapp einhundert Jahre an ihr gebaut, von 1030 bis 1124. Alle salischen Kaiser und zudem noch die staufischen und habsburgischen Herrscher nebst Gattinnen sind in diesem Dom begraben. Glücklicherweise wurde in späteren Jahrhunderten nach der Fertigstellung nicht mehr so arg an dem Dom herumgepfuscht, er ist ein unverfälschtes Zeugnis mittelalterlicher Baukunst. Papst Johannes Paul II. war auch schon hier, am 4. Mai 1987. Der neue Papst auch, aber da war er noch nicht Papst. Der Dom steht auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes.
Die Maximilianstraße zwischen Dom und Innenstadt ist der verkehrsberuhigte Ort, wo im Sommer die Speyerer in bunten Turnschuhen umherlaufen. Wo es unzählige Freischankflächen gibt, mit Palmen und Heizpilzen, damit man ganz lange draußen sitzen kann. Eine Seitenstraße heißt «Grasgasse», und ausgerechnet dort gibt es einen Headshop (für ältere Leser: ein Geschäft, wo man Utensilien zum Genuss und zum Anbau weicher Rauschgifte, zum Beispiel Gras, erwerben kann). Haha, die sind schon lustig, die Speyerer Kiffer. Überhaupt waren die hier zumindest früher sehr hippiemäßig drauf. Vor fünfunddreißig Jahren spielten hier sogar mal Rory Gallagher und Deep Purple ein Open-Air-Konzert.
Nördlich von der Stadt gibt es viele Seen, in denen man baden kann. Die Stadt liegt außerdem am Rhein, was Städten ganz grundsätzlich zu einem romantischen Flair verhilft. Kurz gesagt: Im Sommer muss Speyer ein Traum sein. Das ist sehr gut vorstellbar, sogar heute, da die Menschen sich ganz in ihre Mäntel verkriechen und an den Hauswänden entlanghuschen.
Früher war in der heutigen Buchhandlung mal ein Porzellangeschäft, aber Porzellan läuft ja leider gar nicht mehr. Die Leute wissen gutes Porzellan nicht mehr zu schätzen. Bücher schon eher.
Später im Fernsehen Rudi Carrell. Ich finde, er gehört ebenso wie der Dom zu Speyer auf die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. Carrell erhält einen Preis und dankt mit brüchiger Stimme seiner Krankenversicherung und der Pharma-Industrie dafür, dass er in der Lage ist, den Preis überhaupt entgegenzunehmen. Was für ein großer Held. Als Kind war ich ein riesiger Rudi-Fan. Seine Lieder waren super, seine Gags, die Spiele in seiner Show. Das Laufende Band mit den Sachen, die man sich merken musste. So was Charmantes gibt es heute überhaupt nicht mehr. Ich fand ihn natürlich damals schon alt, auch weil er früh graue Haare hatte.
Rudi Carrell passt mit seinem Humor nicht mehr in die Zeit, in der wir gerade leben. Er freut sich über seinen Preis. Die Menschen im Saal erheben sich, klatschen lange. Da merke ich, dass im Fernsehen gerade meine Kindheit zu Ende geht. Mir steigen beim Anblick des schmalen holländischen, aus dem Nest gefallenen Vogels die Tränen in die Augen. Ich glaube, das hat er mit Absicht gemacht. Respekt.
Konstanz. Löffel und andere Merkwürdigkeiten
3. Februar 2006
Man wacht auf, macht das Frühstücksfernsehen an und sieht wen? Hans-Jochen Vogel. Er feiert heute seinen achtzigsten Geburtstag. Hans-Jochen Vogel, die große alte Dame der SPD. Zu den größten Verdiensten des Politikers Vogel gehört es, als Oberbürgermeister die Olympischen Spiele nach München geholt zu haben. Es ist auch seiner politischen Energie und seinem Vertrauen in die Architektur sowie seinem Geschmack zu verdanken, dass München damals eines der schönsten Stadien der Welt bekommen hat: das Münchner Olympiastadion.
Damals konnte noch niemand wissen, dass sich die Anforderungen an eine Sportstätte innerhalb von dreißig Jahren so stark ändern würden, dass dieses Olympiastadion irgendwann nicht nur dem
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