In meinem kleinen Land
Recreation-Phase wird immer enger, und wir müssen die Durchführung des für morgen terminierten Motivationsworkshops clustern und gegebenenfalls deleten.» Er könnte auch sagen: «Mach das Scheiß-Licht aus, oder ich geh morgen nicht mit dir in den Zoo.»
Immer, wenn Manager Großes geleistet haben, haben sie «etwas in die Pipeline» gebracht. Benötigen sie dafür die Zustimmung eines Vorgesetzten, sagen sie: «Das muss noch gegreenlightet werden.» Ist dies geschehen, heißt es, der Vorgang sei «gegreent».
Am nächsten Morgen Abreise aus Konstanz. Ich muss dreimal umsteigen. In Ulm warte ich auf den ICE. Da hat man immer Zeit, sich umzusehen. Heute schaue ich mir diese fiesen Müllrondelle an, die überall in Deutschland auf den Bahnhöfen stehen. Darauf sind Fotos geklebt, damit auch chinesische Touristen kapieren, was wo hineingehört. Auf dem Bild für die Restmüllabteilung der Tonne sehe ich: eine Bananenschale. Eine Pommesgabel. Pommesschälchen. Zwei Feuerzeuge. Eine C-90-Audiokassette mit Bandsalat (das Bild ist wahrscheinlich schon sehr alt). Einen verbogenen Löffel. Einen Löffel? Wer schmeißt denn auf dem Bahnhof einen Löffel weg? Na, wer schon? Junkies natürlich. Wer Christiane F. gelesen hat, weiß, dass Junkies immer ihr Heroin mit Zitronensaft auf einem Löffel kochen, bevor sie es sich in die Blutbahn spritzen. Und was soll man mit dem Löffel machen? Natürlich, bitte sehr in die Restmülltonne. Ich finde es toll, dass die Deutsche Bahn mit dieser Abbildung ihrem aufkeimenden Ruf als saubere Institution des deutschen Verkehrswesens so unaufdringlich und charmant entgegenwirkt.
Aktennotiz von H.-J. Vogel: «Mehdorn anrufen. Sollen die Löffel von den Mülltonnen retuschieren. Ekelhaft.»
Halle. Halli-hallo, böser Mann im Publikum
6. Februar 2006
Hallenser heißen die Menschen, die in Halle leben. Und nicht Haller. Sie essen Halloren, das sind Pralinen, die in ihrer Form den Trachtenknöpfen der Hallenser Salzwirker nachempfunden sind. Und wenn Hallenser im Karneval fröhlich sind, nennt man sie vermutlich Hallodris.
Gibt es Scherze, die man im Osten nicht machen kann? Muss man an etwas Bestimmtes denken, wenn man hier auftritt? Es gibt Szenen und Formulierungen in meinem Buch, die den Menschen hier vielleicht nichts sagen. Wenn zum Beispiel von den Garagenhöfen in niederrheinischen Reihenhaussiedlungen die Rede ist, könnte es doch sein, dass die sich langweilen. Auch gibt es eine Szene, in der ein Italiener das Lied vom alten Holzmichl singt. Das ist ein sächsisches Lied. Vielleicht finden die das hier doof. Man ahnt ja, dass die empfindlich sind. Könnte das Singen des Holzmichl-Liedes durch einen Nicht-Ostler möglicherweise als Beleidigung oder Herabsetzung des Ostens, als Schmähung empfunden werden? Diese Dinge verunsichern mich.
Tatsächlich gibt es dazu aber keinen Anlass. Die Menschen lachen hier an denselben Stellen wie die in Celle oder in Karlsruhe, wobei sich bei Paranoikern wie mir natürlich der Verdacht aufdrängt, sie seien wahrscheinlich Zugereiste aus Celle oder Karlsruhe. Jedenfalls verläuft alles wie sonst auch. Wenn man von dem Kerl in der dritten Reihe absieht.
Er sitzt zwischen zwei Frauen, die sich sehr gut amüsieren, und schaut mich wirklich richtig böse an. Er hasst mich. Er lacht kein einziges Mal und klatscht widerwillig, geradezu herablassend, eigentlich ironisch, wenn ein Kapitel zu Ende ist. Einmal bemerke ich, wie er einer der Frauen etwas ins Ohr flüstert und dabei auf mich zeigt. Was er da wohl flüstert: «Das findest du gut? So ein Schwachsinn.» Oder: «Du lenkst ihn hinterher ab, und ich ziehe ihm eins mit dem Weltatlas über die Rübe.» Oder: «Du bleibst hier, ich gehe allein in sein Hotelzimmer.»
Auf dem Rückweg zum Hotel durch Halles Einkaufsstraße. Alles neu. Die Stadt sieht jünger aus als ich. Das ist seltsam. Es gibt hier eben kaum ein Geschäft, das mit hundertjähriger Tradition wirbt. Hinter alten Fassaden sind neue Telefonläden untergebracht. Neue Bäckereifilialen, neue Drogeriemärkte. Das wirkt alles so geschichtslos, obwohl Halle an der Saale ganz bestimmt das Gegenteil dessen ist. Und natürlich hat diese Gegend Zukunft, denn sie ist alles andere als verlassen, ausgestorben und vergangenheitsbezogen. Gemeinsam mit dem nahen Leipzig und den umliegenden Orten hat die Region eine gute Million Einwohner, von denen über zweihunderttausend alleine in Halle leben. Darunter sind übrigens nicht viele Kirchgänger.
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