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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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gutausgestattetes Planetarium haben. Man könnte ja dafür die Hallenbäder schließen. Dort bekommt man eh nur Pilze und schlechte Manieren.

Weimar. Goethedämmerung
    8. Februar 2006
    Weimar ist auf Anhieb eine sehr außergewöhnliche Stadt, denn sie ist kulturhistorisch ungefähr so bedeutend wie Helsinki, Nürnberg, Madrid und Atlanta zusammen . Dabei ist Weimar gerade mal so groß wie Rosenheim und hat 60   000 über die Maßen selbstbewusste Einwohner. Goethe und Schiller an jeder Straßenecke, Kultur hier, Kultur dort. Und ganz in der Nähe ein Konzentrationslager, Buchenwald nämlich.
    Einen Ort namens Buchenwald gibt es in Deutschland nicht, tatsächlich handelt es sich um einen Kunstnamen, mit dem verschleiert werden sollte, dass sich unweit der deutschen Kulturstadt Nummer eins ein Arbeitslager befand. 1937, bei der Namensgebung für das Lager, schied «Weimar» also schnell aus, ebenso wie «Ettersberg». Genau dort befindet sich zwar das Lager, aber eben auch das Schloss Ettersburg, wo die Herzogin Anna-Amalie ihren literarisch-musischen Kreis pflegte, dem unter anderem Goethe und Johann Gottfried Herder angehörten. Die nationalsozialistische Kulturgesellschaft Weimar (so etwas gab es merkwürdigerweise) verbat sich die Nutzung des Namens für so etwas Anrüchiges wie ein KZ. Man kann darin ein frühes Schuldeingeständnis sehen, wenn man will. Nachdem die SS zudem dagegen protestiert hatte, das Lager dem winzigen Ort Hottelstedt zuzuschlagen, einigte man sich schließlich auf den rasch erfundenen Namen Buchenwald, der weder Rückschlüsse auf die Weimarer Klassik noch auf die geographische Lage des Lagers zuließ.
    Nach dem Krieg betrieben die Sowjets Buchenwald bis 1950 quasi übergangslos weiter, benannten es allerdings in «Speziallager Nr.   2» um. Dort saßen nicht nur Kriegsverbrecher und Nazis, sondern auch SED-kritische Sozialdemokraten.
    Zurück zu Jöte. Der wird eindeutig stärker gefeatured als sein Freund Schiller. Aber selbst wenn die beiden deutschen Großdichter nicht hier, sondern in Königs Wusterhausen gewirkt hätten, bliebe Weimar eine geradezu groteske Vielzahl von Genies: neben den Erwähnten zum Beispiel Johann Sebastian Bach, Franz Liszt, Friedrich Nietzsche, Hector Berlioz sowie das Personal des Bauhauses: Lyonel Feininger, Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Johannes Itten, Oskar Schlemmer. Man kann also mit Sicherheit sagen, dass in Weimar entschieden mehr Genies gewirkt haben als anständige Bäcker. Ich glaube nicht, dass es sehr viele Orte auf der Welt gibt, die solches von sich behaupten können.
    Demütig mache ich meinen Spaziergang und sehe mir das kleine Bauhaus-Museum an, danach Goethes Wohnhaus. Das gefällt mir aber nicht, was am Ausstellungskonzept dieses nationalen Heiligtums liegt. Es gibt an und für sich viel zu sehen im Goethe-Haus, es ist sehr gut erhalten und noch vollständig möbliert. Aber davon hat der Besucher wenig, denn nichts, aber auch rein gar nichts wird erklärt.
    Das ist Absicht. Man wolle das Haus nicht durch erklärende Texttafeln verschandeln, es solle seinen wohnlichen Charakter behalten, lese ich. Man kann dies auch arrogant und das Interesse des Besuchers strafend nennen. Goethe besaß 25   000 Kunstwerke, Tausende von Büchern und 18   000 Steine in seiner Mineraliensammlung. Außerdem ungezählte Objekte für naturwissenschaftliche Studien, Skizzen und schon für seine Zeit bemerkenswerte Möbel. Aber wer auf den überall herumhängenden Bildern zu sehen ist, erfährt man nicht. Woher die vielen Skulpturen in seiner Wohnung stammen, bleibt ein Rätsel. Geht einen wohl nichts an. Also tapere ich unbelehrt durch das Halbdunkel von Dichterfürstens Philisterpalast.
    Die Standuhr im hinteren, recht kargen und für Besucher zu Lebzeiten Goethes sorgsam verschlossenen Privatbereich steht auf 11.25 Uhr. Und das schon seit 1832. Sie wurde angehalten, als der Dichter in der Mittagsstunde des 22. März verstarb – und nie wieder in Bewegung gesetzt. Das erfahre ich aber nur, weil ich der Dame zuhöre, die diese Geschichte gerade im Rahmen einer Führung erzählt. Ich finde, man hätte ein paar Schildchen anbringen können. Machen die Weimarer aber nicht. Es heißt Weimarer, nicht Weimaraner. Weimaraner sind schöne, aber dumme Vorstehhunde, was sich von den Einwohnern Weimars nun wirklich nicht behaupten lässt.

    In der Innenstadt entdecke ich merkwürdige Menütafeln. Man kann sagen, dass in

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