In meinem kleinen Land
Schon irgendwie. Aber erst, seit er hier liegt. Da ist er mir schon nahe.» Das kann ich verstehen. Wenn man dieses Grab sieht, denkt man ja nicht sofort an den Mief der Sahnewelt, den er verkörpert hat. An seinem Grab fällt einem eher der späte betrunkene Roy Black ein, der seinen Künstlernamen gehasst haben soll. Der viel lieber Rocker gewesen wäre. Der sich am Ende in seine Angelhütte setzte und die letzte Flasche aufschraubte. An einem Grab denkt man wohl automatisch eher an das Ende als an den Anfang von Karrieren.
Gerhard Höllerichs Grab sieht sehr gepflegt aus. Wie frisch frisiert, als duftete es nach Haarspray. Jemand hat vor kurzem, bestimmt erst gestern, eine Vase mit sieben roten Rosen aufgestellt. Jemand hat die Erde trotz Frost schön aufgelockert, in ganz kleinen Klümpchen liegt sie braun da wie ein dicker Teppich. Nicht eine Schneeflocke stört die Symmetrie. Die Gräber nebenan sind verschneit. Rechts am schmucklosen Stein klebt ein Porträt von Höllerich in seinen späten Jahren, als das Kinn etwas breiter und das Grinsen etwas schmaler wirkte. Die Wörthersee-Phase, die Comeback-Zeit. Auf der Erde liegt ein Schildchen, darauf steht: «Roy, in unseren Herzen lebst du für immer fort.» Auch darauf ist ein Foto angebracht, früher Roy, Anita-Ära.
Hartmut wird unruhig. Hat er sich alles etwas glamouröser vorgestellt.
«Wenn Sie noch bleiben wollen, bleiben Sie noch. Ich gehe schon mal ins Auto.» Aber ich will nicht bleiben. Schön, ist es auf der Welt zu sein. Servus, Roy.
Wolfratshausen. Allgemeine Individualkontrolle
24. Februar 2006
Wolfratshausen ist gemessen an Größe und Einwohnerzahl sehr bekannt. Es hat bloß knapp 17 000 Einwohner und ist somit entschieden kleiner als das benachbarte Geretsried. Während aber in Wolfratshausen ein großer Möbelhändler, McDonald’s, der Märchenpark und der bayerische Ministerpräsident wohnen, fällt Geretsried eigentlich nur durch die wursthafte Krümmung seines Gemeindegebietes auf. Geretsried ist wirklich ein recht schauderhafter Ort, finden sogar die Geretsrieder.
Wolfratshausen ist auch nicht besonders hübsch, man stellt es sich bestimmt viel oberbayerischer und pittoresker vor, als es sich in Wirklichkeit präsentiert. Das Stadtbild wird von mehreren Durchgangsstraßen dominiert und einer dauerhaften Schattigkeit, die damit zu tun haben mag, dass der Ort in einem Tal liegt und nicht viel Sonne hineingelangt. Es ist der Ort mit den drei großen Supermärkten und den beiden Tankstellen, dem Baumarkt, dem Garten-Center, einigen Autohäusern und einer schlecht beleumundeten Discothek, von der jede nur denkbare Gefahr für die Jugend ausgeht, wie man immer wieder hört. Direkt gegenüber befindet sich eine Polizeistation mit außergewöhnlich mürrisch ihren Dienst versehenden Beamten. Als ob deren Mitbürger etwas dafür könnten, dass ihre Karrieren ausgerechnet in Wolfratshausen zum Stillstand gekommen sind, blaffen und blöken sie sie an. Einer jedoch hat Humor. Und genau mit dem hatte ich neulich zu tun.
Er erwischte mich beim Telefonieren im Auto. Ich stand an einer Ampel und quatschte, der Polizeiwagen hielt auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung. Ich warf das Handy auf den Beifahrersitz, aber es war zu spät. Die Beamten hatten mich genau gesehen. Die Ampel schaltete auf Grün, ich rollte über die Kreuzung, die Polizisten taten dasselbe, wendeten und fuhren hinter mir her. Dann knipsten sie Lichter an, blendeten auf und fuchtelten mit den Händen herum. Ich hielt, sie stiegen aus, ich kurbelte die Scheibe runter.
«Guten Tag, allgemeine Verkehrskontrolle, Papiere und Führerschein, bitte.»
Ich hatte beides nicht dabei. Habe ich übrigens nie, aus Angst, die Papiere zu verlieren. Wenn man sie verloren hat, kann man sie ja nicht mehr vorzeigen.
«Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?»
«Nö.»
«Sie haben eben mit Ihrem Handy telefoniert.»
«Habe ich nicht.»
«Haben Sie doch.»
«Ich habe nicht telefoniert, sondern das Handy nur ans Ohr gehalten, um zu gucken, ob es funktioniert. Aber ich habe nicht telefoniert.» So ein Schwachsinn.
«Sie hatten das Handy am Ohr, und damit ist für uns offensichtlich, dass Sie es auch benutzt haben.»
«Aber ich habe nicht telefoniert. Wenn ich mir jetzt eine Käsesemmel ans Ohr gehalten hätte, wäre das genau dasselbe gewesen. Und eine Käsesemmel darf ich mir ja wohl straffrei ans Ohr halten.»
Und dann sagt er wunderbar ruhig den hübschen Satz: «Solange
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