In meinem kleinen Land
Programm der «10. Augsburger Kabarett-Tage» durch. Die meisten deutschen Kabarettisten und Comedians stehen unter einem neurotischen Wortspielzwang, was die Titel ihrer Programme angeht. Die heißen nie: «Das neue Programm von …», sondern zum Beispiel «Glauben Sie ja nicht, wen Sie da vor sich haben» oder «Komm, geh weg» oder «Kein Grund zur Veranlassung» oder «Dein Platz an der Tonne» oder «Bis neulich». Glauben die wirklich, es geht jemand wegen dieser Titel in ihre Veranstaltungen? Vielleicht ja schon. Ich neige zum Irrtum, je älter ich werde. Und im Moment altere ich rapide. Ich habe schon wieder graue Haare entdeckt. Wenn ich ein deutscher Kabarettist wäre, würde ich mein Programm jetzt natürlich «Flau bis in die Spitzen» nennen, damit wären gleich zwei Wortspiele erledigt und auch mein (zwinker-zwinker) Gemütszustand im Deutschland des Jahres 2006 beschrieben. Mein Jahresrückblick hieße natürlich «Jahrspalterei». Kabarettist müsste man sein.
Nach dem Essen Aufbruch zur Buchhandlung. Ich darf im Wareneingangsbereich auf meinen Auftritt warten. Binde meine Schuhe zu. Verdammte coole Adidas-Retro-Schuhe. Gehen immer auf, sind vorne zu eng und hinten zu groß. Womöglich ein Fehlkauf.
Ich treffe heute auf ein eher zurückhaltendes Publikum. Wahrscheinlich sind die verwöhnt, denn in Augsburg gibt es nicht nur Kabaretttage, sondern auch noch ein größeres Theater. Außerdem kam Bertolt Brecht aus Augsburg. Da ist man schon kritisch mit durchreisenden Vorlesern. Dann verwechsle ich in einer Ansage Augsburg mit Aschaffenburg. Dasselbe ist mir vorgestern in Gießen mit Fulda passiert.
Schließlich frage ich die Leute, ob jemand weiß, wie man verhindert, dass die Schnürsenkel immer aufgehen. «Haarspray drauf», ruft eine Dame. Toller Tipp, habe ich noch nie gehört. Ich werde es ausprobieren.
Am nächsten Morgen schwere Entscheidungen: Soll ich den Handwerkerweg und in der Nähe das Brechthaus ansehen, die Maximilianstraße, die Grabkapelle der Fugger, dazu den Dom und das Rathaus und das Museum der Augsburger Puppenkiste? Oder Roy Black? Für die erste Alternative spricht, dass man das alles zu Fuß machen kann. Zum Grab von Gerhard Höllerich alias Roy Black nach Straßberg sind es hingegen zwanzig Kilometer.
Ich setze mich ins Taxi und diskutiere das Thema mit dem Taxifahrer, einem sehr gepflegten Herrn mit Schnauzer, der überhaupt nicht in dieses Taxi gehört, außer als Fahrgast. Er sagt, dass er die Fahrt für fünfundzwanzig Euro machen würde.
«Eine Fahrt?»
«Zurück muss ich ja sowieso. Fünfundzwanzig Euro hin und zurück.»
«Echt?»
«Ich war noch nie da. Ich würde dann mitgehen, wenn es Sie nicht stört.»
Also fahre ich mit Hartmut, so nenne ich den jetzt einfach mal, nach Straßberg. Er erzählt mir vom Roy-Kult. In der Nähe des Friedhofes gibt es einen Ort mit einer Halle, in der die Fans sich einmal pro Jahr treffen. Dann werden die Hits von seiner alten Begleitkapelle nachgespielt, es werden Torten verputzt und klebrige Erfrischungen getrunken. Da hat er mal jemanden hingebracht. Es gebe sogar Konzerte, auf denen Roy Blacks Stimme vom Band eingespielt werde. Gespenstisch, was?
Wir fahren langsam in das moderat verschneite Örtchen Straßberg. Der Friedhof ist leicht zu finden, denn sie haben ihn sehr ordentlich ausgeschildert. Tausende kommen jährlich hierher, im Sommer sogar in Bussen. Dann werden Blumen abgelegt. Kerzchen, Bilder. Der Friedhof liegt auf einer Anhöhe. Spitzenlage würden Immobilienmakler dazu sagen. Findet Hartmut auch. «Eigentlich Perlen vor die Säue. Hat der Roy ja nix von, von der Lage.» Wir steigen aus, Hartmut holt seine Jacke aus dem Kofferraum. Es ist ein besonders gepflegter Friedhof. Still ist er, weiß, und die Grabsteine glänzen in der Vormittagssonne. Scheint ein Reiche-Leute-Friedhof zu sein. Metzger. Bauunternehmer. Roy. Zwei Gärtner beladen einen Transporter mit welken Kränzen. Wir gehen auf sie zu.
«Grüß Gott, wo liegt denn der Roy Black?»
«Zweite Reihe von rechts, ganz hinten links.»
Der jüngere Gärtner führt uns hin.
«Da isser», sagt er und zeigt auf ein Doppelgrab.
Ob denn viele kämen, fragen wir. Ja, sehr viele, aber wir seien heute die Ersten. Im Sommer sei das manchmal schlimm für die Totenruhe der anderen, sagt der Mann, und das klingt, als würde Roy dann singen.
«Haben Sie den Roy gemocht?», frage ich den Gärtner, der lange das Foto auf dem Grabstein betrachtet.
«Hm. Gemocht.
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