In meinem kleinen Land
den Gaumen brennen konnte. Nee, heute ist mir nicht nach zweiunddreißig Gängen, Ente hin oder her.
Bald stehe ich vor einem sogenannten In- oder sogar Szene-Lokal. Die erkennt man sofort, schon an den dicken Kerzen und dem indirekten Licht und der gleitenden Typographie, in der der Name des Lokals auf Fensterscheiben und Speisekarten sein Unwesen treibt. Die Gäste sitzen auf lederbezogenen Bänken oder lehnen an Stehhilfen und hören Lounge-Musik. Das war mal eine Zeit lang sehr populär, dieses Buddha-Bar-Café-Costes-del-Mar-Gedudel.
Ich bestelle aus Gründen, die mir im Nachhinein völlig rätselhaft sind, da ich ja eben noch beschlossen habe, nicht chinesisch zu essen, eine Riesenfrühlingsrolle mit knackigem Wokgemüse. Fehler. Schlimmer Fehler. Die Riesenfrühlingsrolle ist ein mächtiger Blätterteigapparat mit im Schummerlicht schwer zu definierendem Innenleben, und das knackige Wokgemüse klebt in einer schweren süßsauren Pampe an einem Berg Reis. Meine Sozialisation gebietet mir leider, alles aufzuessen. Diese ewige Aufesserei. Schrecklich. Ich stoße beherzt auf und zahle. In den Grundfesten meiner vegetativen Stabilität erschüttert, wanke ich durch die Innenstadt zu meiner Lesung.
Eine halbe Stunde verbringe ich im Gemeinschaftsraum der Buchhandlung. Das mag ich. Schließfächer für jeden Angestellten, wo Butterbrote und Lippenstifte aufbewahrt werden. Privates. Ich bin ja immer nur in öffentlichen Räumen, sodass es mir irgendwie guttut, von persönlichen Dingen umgeben zu sein. Ich blättere «Schöner Wohnen» durch. Dann muss ich raus. Das Gleiche gilt leider für die Riesenfrühlingsrolle mit dem knackigen Wokgemüse, die einen enormen Geltungsdrang besitzt und mir immer wieder ins Wort fällt.
Im Hotel erwäge ich den Verzehr einer lokalen Bierspezialität mit dem Namen «Schlappeseppel». Bin aber zu müde. Außerdem: Riesenfrühlingsrolle und Schlappeseppel does not compute.
Am nächsten Morgen noch ein Spaziergang. Soll ich mal ins Schloss Johannisburg? Den Main entlanggehen? Oder das Pompejanum besuchen? Darin befindet sich der Nachbau der Villa von Castor und Pollux, die in Pompeji ausgegraben wurde. Castor und Pollux heißen übrigens auch die Schurken in dem Action-Film «Face off». Außerdem besitzt das kleine Aschaffenburg die «Rosso Bianco Collection», ein Automuseum mit der größten Sportwagensammlung der ganzen Welt. Das müsste man eigentlich auch gesehen haben.
Ich grübele und entschließe mich dann aber doch zur Weiterfahrt nach Augsburg. Maßgebend dafür ist ein echtes Handicap: Die Schnürsenkel meiner in Fulda gekauften Schuhe gehen dauernd auf. Das stört gewaltig. Was ist da eigentlich los? Und wie löst man dieses Problem? Idee: Ich werde abends das Publikum in Augsburg einfach mal fragen, ob es dagegen ein Hausmittel gibt. Da hätte ich auch früher draufkommen können. Wofür sind Zuschauer denn sonst da?
Augsburg. Der Jim Morrison von Straßberg
23. Februar 2006
Die Stadt Augsburg (Bischofssitz, zweitälteste Stadt Deutschlands nach Trier) begrüßt mich mit einem kleinen Wunder. Wenn man nämlich die Quizfrage stellte, in welcher der beiden Städte, Augsburg oder Lübeck, die größten Dieselschiffsmotoren der Welt gebaut werden, würden die meisten Kandidaten antworten: Lübeck. Ist aber falsch. Die größten Dieselschiffsmotoren der Welt werden in Augsburg gebaut. Behauptet jedenfalls der Taxifahrer, der mich vom Bahnhof ins Hotel fährt.
Augsburg hat neben Dieselmotoren eine Menge weiterer Highlights zu bieten. Zum Beispiel einen Feiertag, den es sonst nirgends gibt, das Hohe Augsburger Friedensfest (8. August). Dann die Fuggerei. Dabei handelt es sich um sozialen Wohnungsbau, der um 1500 von Jakob Fugger veranlasst wurde und bis heute bewohnt ist, wenn auch nicht mehr von den Urmietern.
Nachdem ich umhergelaufen bin und dabei den Markt entdeckt habe, beschließe ich, was zu essen zu suchen. Die Riesenfrühlingsrolle aus Aschaffenburg hat auch über den heutigen Tag noch ein grässliches Werk an mir verrichtet, und so suche ich nach einfacher Kost. Bloß keine Experimente!
Ich lande in der Helsinki-Bar, die zu einem Kleinkunsttheater gehört. Dort wird finnisch gekocht, habe ich noch nie probiert. Aber hatte ich nicht eben noch entschieden: keine Experimente? Ach, komm! Wann hast du wieder die Gelegenheit, finnisch zu essen? Ich bestelle: Rotkohl-Hackfleisch-Taschen. Schmeckt nicht übel, allerdings sehr nach Essig.
Ich blättere das
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