In meinem kleinen Land
Tischtennis-Weltmeisterschaft. Die WM im eigenen Lande. Das ist schon was Besonderes. Wir haben seit Jahren Weltklassespieler. Roßkopf, Fetzner und vor allem Timo Boll. Aber die werden nie so populär wie Tennisleute. Dabei verhält sich Tischtennis zu Tennis keineswegs wie Minigolf zu Golf. Und die Tischtennisspieler sind auch nicht so albern wie die Kollegen mit dem großen Schläger. Aber das sind so die Ungerechtigkeiten des Lebens. Damit muss man klarkommen. Damit – und mit dem Anblick pfiffig-modischer Brillen.
Jork. Blütenträume in Eigelb
27. April 2006
Es ist gar nicht so einfach, nach Jork zu kommen. Zunächst gilt es, in Erfahrung zu bringen, wo dieses Jork überhaupt liegt. Ich scheitere an meiner Landkarte, denn Jork wird darauf überdeckt, und zwar von dem fettgedruckten Wort «Hamburg». Das ist übrigens auch im echten Leben Jorks Problem. Jedenfalls befindet sich Jork im Südwesten von Hamburg, in der Gegend von Stade und Buxtehude. Im Alten Land. Das kennt man ja irgendwie, denn da wachsen Kirschen und Äpfel. Um diese Jahreszeit blühen normalerweise die Bäume, es muss ein phantastischer Anblick sein, denn nirgends in Europa – außer in Südtirol – gibt es mehr Obstbäume als im Alten Land. Am Wochenende fahren deshalb die Hamburger hierher, gehen spazieren, trinken Tee mit krümeligem Kandis, kaufen kistenweise Äpfel und fahren wieder in die Stadt.
Für all jene, die nicht mit dem Auto unterwegs sind, gestaltet sich die Reise nach Jork beschwerlich. Ich nehme ein Schiff an den Hamburger Landungsbrücken, Linie 62, kostet bloß zwei Euro fünfzig. Das fährt gemütlich bis nach Finkenwerder, vorbei an den früher besetzten Häusern der Hafenstraße, vorbei an der «Strandperle» in Övelgönne, wo die früheren Hausbesetzer, die heute Webdesigner und Journalisten sind, schreckliches Astra-Pils trinken, vorbei an weißen Villen und vor allem am Hafen.
Auf der anderen Seite der Elbe in Finkenwerder angekommen, suche ich nach einem Taxistand. Da ist aber keiner, bloß eine Bushaltestelle, an der ein Mann mittleren Alters wartet. Er trägt eine Mütze wie Helmut Schmidt, was hier nichts Besonderes ist.
«Entschuldigung, gibt es hier einen Taxistand?»
«Nichdassichwüsste.»
«Auch nicht da drüben?»
«Nee.»
«Wissen Sie denn, ob von hier ein Bus nach Jork fährt?»
«Nach wou?»
«Nach Jork.»
«Nichdassichwüsste.»
«Wo liegt denn Jork?»
Er macht eine ausladende Handbewegung, mit der er über die umliegenden Dächer hinwegzeigt.
«Do hinden. Das is aber noch ’n büschen weit.»
«Und da fährt kein Bus hin?»
«Nach Cranz fährt ’n Bus.»
«Ist das in der Nähe von Jork?»
«Näher geht’s nich.»
Mutig besteige ich den Bus der Linie 150, von dem ich denke, dass er in Richtung Jork fährt. Der Bus quält sich und seine Fahrgäste zunächst durch Finkenwerder. Die Durchgangsstraße ist eng und voll. Ein Wahnsinnsverkehr. Das finden die Anwohner auch. An fast jedem der kleinen Häuschen am Straßenrand haben sie gelbe Warnschilder angebracht. «Verkehrslärm» steht auf einem, «Erschütterungen» auf einem anderen, «Bauschäden» auf einem dritten. Die Menschen in Finkenwerder zittern bei jedem LKW in ihren Behausungen, von denen allmählich die Klinker abfallen. Der Hamburger Senat kümmert sich angeblich nicht darum. Seit vielen Jahren wartet man schon auf eine Umgehungsstraße.
Viel von dem Verkehr landet beim Airbus-Werk, das sich hier draußen breiter und breiter macht. Mit dem Bus fährt man daran vorbei. Kilometer um Kilometer nichts als Airbus. Sie haben schon einen Seitenarm der Elbe zugeschüttet, um noch mehr Platz zu bekommen, und nun ist auch das Alte Land bedroht. Der fruchtbare Marschboden der Gegend hat die Menschen reich und glücklich gemacht. Sie hatten es gut, außer wenn die Elbe zu Besuch kam wie 1962, als in Neuenfelde der Damm brach. Und jetzt also dieses Airbus-Werk.
Rund tausend Obstbauern gibt es hier, neunhundert Jahre lang wurde hier angebaut und geerntet, früher mehr Kirschen, heute mehr Äpfel, weil die nicht so empfindlich sind. Doch wenn es nach den Hamburgern und den Airbus-Managern geht, sollen die Bauern nun ihr Land verkaufen, damit die Startbahn um knapp sechshundert Meter verlängert werden kann. Dafür braucht man Land, altes Land. Rund fünfzehn Prozent der Anbaufläche ginge alleine im zum Hamburger Stadtgebiet gehörenden Teil des Alten Landes verloren.
Die Altländer wehren sich gegen die übermächtigen
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