In meinem kleinen Land
Arm gesteckt, einen Tropf daran angeschlossen, sie haben sich hingelegt und sind eingeschlafen. Die Zeitung mutmaßt, die junge Frau sei unheilbar krank gewesen. Man liest das so und rührt in seinem Kaffee. Und denkt sich: Was für ein ungeheurer und trauriger Liebesbeweis von ihm.
Ich esse Nudeln. Auch so ein Wort, das allmählich in Vergessenheit gerät. Mit der «Nudel» geht es ähnlich steil bergab wie mit dem FC Köln. Inzwischen sagen die Deutschen «Pasta». Sogar ich, das nervt mich.
Hier in Köln sieht man häufiger Promis als anderswo. Also andere sehen die häufiger, ich nicht. Ich erkenne leider nie jemanden und muss ständig auf berühmte Leute aufmerksam gemacht werden. Einmal hatte ich allerdings eine sehr hübsche Begegnung mit dem berühmtesten Kölner aller Zeiten. Willy Millowitsch.
Ich wollte ihn interviewen, das ist schon viele Jahre her. Also schrieb ich ihm einen Brief, und er rief mich daraufhin an und sagte zu. Ich solle zu ihm nach Hause kommen. Ich fragte ihn nach seiner Adresse, aber er sagte vollkommen selbstverständlich: «Setzen Se sisch ins Taxi und sagen Se einfach: ‹Zum Millowitsch.› Die Taxifahrer wissen alle, wo isch wohn.» Ich glaubte ihm kein Wort, aber da er seine Adresse nicht rausrückte, ging es nicht anders. Ich flog also nach Köln, setzte mich ins Taxi und sagte: «Zum Millowitsch, bitte.» Und der Taxifahrer nickte bloß knapp und fuhr mich zum Haus von Willy Millowitsch. Der wohnte in einer Villa mit einem schmiedeeisernen Tor, in das seine Initialen eingearbeitet waren. Eine Tochter öffnete mir und bat mich, im Wohnzimmer auf ihren Vater zu warten. Der müsse noch seinen Mittagsschlaf beenden. Ob mir das was ausmache? Nein, natürlich nicht. Ich setzte mich auf die große Couch im Wohnzimmer und sah durch das Panoramafenster in den verschneiten Millowitsch’schen Garten. Eine Weile passierte gar nichts. Kein Laut war zu hören, kein Willy zu sehen. Dann öffnete sich eine der beiden Türen des Wohnzimmers. Es war die Tür, durch die ich eingetreten war. Herein kam aber nicht der große Kölner Volksschauspieler, sondern ein kleines Mädchen, das mich skeptisch ansah und fragte, was ich hier mache. «Ich warte auf deinen Opa», sagte ich. «Der schläft», antwortete sie und bot an, mir Gesellschaft zu leisten. Also saßen wir nebeneinander auf der Couch und schwiegen. Auf dem Tisch standen schon Kaffee und Kuchen. Ich packte mein Aufnahmegerät aus, legte frische Batterien ein und probierte, ob es auch aufnahm. Plötzlich sagte das kleine Mädchen: «Willst du mal ’n Bambi haben?» Sie zeigte auf die Fensterbank, wo Bambis, Goldene Kameras und viele weitere mehr oder weniger goldene Trophäen herumstanden.
«Nein, das lassen wir am besten, wo es gerade steht», sagte ich, aber das Mädchen war schon aufgesprungen und flitzte zur Fensterbank, wo sie einen gewaltigen Bambi, eine Art Oberbambi, den Bambi der Bambis, einen überdimensionalen Ehrenbambi, anhob. Sie wuchtete das Ding durchs Wohnzimmer und ließ es auf meinen Schoß sinken. Bambi war bemerkenswert schwer. «Du kannst es ein bisschen behalten, aber es ist ganz wichtig für den Opa», sagte das kleine Mädchen. Ich behielt Bambi auf dem Schoß. Wir saßen und schwiegen. Dann fragte das Mädchen: «Willst du mal mein Zeugnis sehen?» «Aber klar, natürlich.» Sie stand auf und raste raus. Ich streichelte das Reh und kraulte es hinter den Ohren. Da öffnete sich die andere Tür, und herein kam Willy Millowitsch, im Unterhemd mit Hosenträgern und eindrucksvoll verstrubbelten Haaren. Ihn traf fast der Schlag, als er mich sah. Und in einer Mischung aus ungläubigem Staunen, Furcht vor Einbrechern und patriarchalischer Strenge schnauzte er mich an: «Wat machen Sie denn da mit meinem Bambi?» Ich stellte es auf den Tisch, er nahm es mir weg und brachte es zurück an seinen Platz. Das anschließende Interview war von einem gewissen Misstrauen mir gegenüber geprägt.
Heute lese ich in der Schildergasse. Beim Signieren dann die Nachricht: Köln ist abgestiegen. Ein Eigentor. Tut mir leid, soweit man als Düsseldorfer Mitleid mit Kölnern haben kann.
Duisburg. Schicksalstag 2
3. Mai 2006
Als Kind ging ich manchmal auf das Feld hinter unserer Siedlung, um ein ganz eigentümliches Naturschauspiel anzusehen. Im Westen ging die Sonne unter und fräste sich orangerot in das niederrheinische Ackerland. Im Osten glühte der Himmel ebenfalls, allerdings in tieferem Rot und meistens sogar noch eine Weile
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