In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
tatsächlich hierher ins Kloster verschleppt worden war? Wenn ja, wo befand sie sich jetzt?
Doch meine weiteren Überlegungen gingen in eine andere Richtung. Wenn Magdalena Muntprat Werke von antiken Autoren in ihrer Wohnung aufbewahrte, konnte man ihr vielleicht einen Tausch vorschlagen? Den Brief gegen einen Kodex?
Dieser Brief schien mir plötzlich der Schlüssel zu allem, was man von der Äbtissin verlangen mochte, ob es sich um die Freilassung einer jungen Frau oder die Herausgabe eines alten Dichters handelte.
Du kannst dir vorstellen, lieber Niccolò, dass mir sehr daran gelegen war, das Corpus Delicti an mich zu bringen, was allerdings auch nicht wirklich schwer war. Ich versicherte der Bibliothekarin die übergroße Dankbarkeit des Papstes dafür, dass sie uns gegenüber so offen gewesen war, was Zügellosigkeit und Missstände im Kloster, besonders hinsichtlich der Äbtissin anbelangte. Auch ließ ich durchscheinen, dass eine solche Klostervorsteherin untragbar sei und wir uns wohl Gedanken über eine Nachfolgerin machen müssten, natürlich jemanden, der ohne jeglichen Fehl und Tadel wäre, darüber hinaus gebildet und des Lateinischen mächtig. Der zornig-neidische Ausdruck auf dem Gesicht von Schwester Relindis machte langsam einem tiefinnerlichen Strahlen Platz, auch wenn ihre faltigen Lippen noch von einer gewissen Häme umspielt wurden. Am Ende bat ich sie in wichtigem Tone, mir den Brief auszuhändigen, damit ich ihn dem Heiligen Vater persönlich vorlegen könne. Beim Gedanken daran, wie sehr Johannes über solche Herzensergüsse lachen und wie er über die unerbittlich korrekte Bibliothekarin den Kopf schütteln würde, konnte ich mich selbst eines Lachens nur mit Mühe enthalten. Doch nach kurzem Zögern übergab sie mir feierlich das inkriminierte Schriftstück.
Bevor ich die staubige Stube verließ, fragte ich noch, ob man im Kloster in den letzten Tagen eine junge Frau gesehen habe, die nicht hierher gehöre, ich hätte Gerüchte gehört, dass jemand versucht habe, eine stadtbekannte Prostituierte hier zu verstecken. Bestürzt erwiderte Schwester Relindis, es seien immer wieder Fremde im Kloster, gerade jetzt zur Konzilszeit, aber ihr sei niemand speziell aufgefallen.
Das musste aber nichts heißen, denn die Gute sitzt wie ein Maulwurf in ihrer Bücherstube und bekommt wohl nicht viel mit von dem, was sich außerhalb des Skriptoriums und vor allem in der Äbtissinnenwohnung abspielt. Außer, wenn sie sich im Namen der Tugendhaftigkeit als Spionin betätigt.
Nun hielt es mich nicht länger in dem engen Gemach, ich ließ Antonio rufen, und wir ritten nach Costentz zurück. Noch am gleichen Abend traf ich meine Freunde – so möchte ich sie inzwischen nennen, denn der lange Cunrat und der pfiffige Giovanni sind mir wahrlich ans Herz gewachsen, und auch der traurige Herr Ringlin scheint mir ein rechtschaffener Zeitgenosse zu sein – und erzählte ihnen, was ich erlebt und erfahren hatte, ohne ihnen jedoch den Namen des verliebten Klosterbruders zu nennen oder den Brief zu zeigen. Manche Dinge behält man besser für sich.
Der fromme Cunrat war entsetzt über das Gehörte, er ist so gutherzig und glaubt immer noch, alle Menschen seien wie er selbst. Manchmal ergötzt mich seine Arglosigkeit, und er erscheint mir wie ein Kind, obwohl ich seiner Größe wegen an ihm hochschauen muss. Sein Kumpan Giovanni hingegen sah sich in seinen Ansichten über die Sitten frommer Frauen bestärkt. Simon Ringlin wiederum dachte nur an seine Tochter und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass wir sie mithilfe des Briefes wiederfinden würden. Am übernächsten Tage wollte ich erneut nach Münsterlingen reiten, wenn die Mutter Oberin zurückgekehrt sein würde, und sie wegen Lucia zur Rede stellen. Und nebenbei wollte ich sie auch nach ihren Bücherschätzen fragen.
Und so geschah es. Am gestrigen Dienstag erfuhren wir, dass König Sigismund nun ein festes Treffen mit König Ferdinand von Aragon und dem Gegenpapst Petrus de Luna für den Juni in Nizza vereinbart hat und dass das Konzil auf jeden Fall bis September dauern wird. Also hatte ich alle Zeit der Welt und ritt wieder mit Antonio im Gefolge den See entlang nach Münsterlingen. Diesmal war die Äbtissin zugegen, und man hatte ihr wohl auch schon mitgeteilt, dass ein Abgesandter des Papstes sie hatte besuchen wollen und stattdessen mit der Bibliothekarin gesprochen hatte. Sogleich wurde ich in ihre Wohnung geleitet, die an der seezugewandten
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