In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
Martyriums oder zumindest mit ihren Martersymbolen: die Heilige Lucia mit ihren Augen auf einem Tablett und der Heilige Lorenz auf dem Bratrost, Sebastian mit Pfeilen gespickt und natürlich immer wieder Franziskus, der Heilige aus Assisi und Patron der Barfüßer, wie er mit den Vögeln sprach, wie er eine heilige Quelle entspringen ließ, wie er die Wundmale erhielt. Manchmal kniete verschämt und winzig ein Stifter oder eine Stifterin vor dem übergroßen Heiligen, denn jeder, der es sich leisten konnte, bei den Franziskanern eine Grabstelle zu kaufen, durfte seinen Schutzheiligen auf der Wand verewigen lassen, das heißt, für die Ewigkeit waren die Gemälde nicht geschaffen, denn wenn kein Platz mehr war, wurden einfach ältere Bilder übermalt. So zeigten die Wände der Kirche ein buntes Mosaik unterschiedlichster Heiligenbilder aus allen Epochen seit ihrer Erbauung vor beinahe 200 Jahren.
Cunrat schloss die Augen. Fast augenblicklich verschwanden die Heiligen, und er sah wieder den toten Heinrich Tettinger von der Decke baumeln und ihm die Zunge herausstrecken, diese Zunge, die so gern geredet hatte zu Lebzeiten und die nun für immer verstummt war. Fast kam es Cunrat vor, als ob sie ihm noch etwas hätte sagen wollen, wie und warum sein Freund gestorben war, aber eine so geschwollene Zunge kann nichts mehr sagen. Es sind nur noch die Dinge drum herum, die sprechen können, die verschrammten Hände, das offene Tor, der teuflische Gestank. Doch Cunrat verstand ihre Sprache nicht, die Frage quälte ihn weiter, warum der Weinhändler sich aufgehängt und ob er es überhaupt getan hatte. Auch Karolina glaubte nicht daran. Wenn Tettinger tatsächlich Hand an sich gelegt hatte, dann war er verloren, verbannt in die tiefste Hölle. Und wenn nicht? Dann konnte man immerhin für ihn beten, um ihm eine Erleichterung seiner Fegefeuerstrafen zu verschaffen und ihm schneller ins Paradies zu verhelfen. Doch das würde bedeuten, dass er von jemand anderem getötet worden war. War der Teufel wirklich heraufgestiegen und hatte den dicken Mann mit einem Strick an den Haken gehängt? Cunrat hatte schon viele Geschichten über die Macht des Teufels gehört, aber diese kam ihm nun doch zweifelhaft vor. Und dennoch, dieser Gestank …
Ob der Vogt sein Unbehagen teilte? Was hatte er gemeint damit, dass Cunrat vielleicht recht hatte? Hatte er die Sprache der Dinge verstanden? Und wenn ja, was hatten sie ihm mitgeteilt?
Die Stimmen der Umstehenden vermischten sich langsam zu einem gleichförmigen Gemurmel. Unaufhaltsam verschwand das Bild des Erhängten vor Cunrats innerem Auge, der Gestank verwandelte sich in Lavendelduft, Cunrat saß wieder auf der Bank in der Stube mit Bärbeli über sich und wiegte sie auf seinem Schoß. Erregung und Ekel ließen ihn gleichermaßen erschauern.
Doch plötzlich schreckte er aus dem Halbschlaf hoch. Die Donnerstimme des Predigers hallte durch das Kirchenschiff.
»Welche Strafe werden die Wollüstigen erleiden? Die Liebessünder? Die Schamlosen?«
Cunrat hatte den Beginn des Gottesdienstes verschlafen, doch nun war er auf einen Schlag hellwach. Stephan von Landskron hatte offenbar die Sünde der Unkeuschheit zum Thema seiner Predigt gewählt. Der Bäckergeselle schluckte.
»Hat der Heilige Franz sich jemals zu so niederem Tun hinreißen lassen? War seine Freundschaft mit Klara von Offreduccio nicht von reinsten Gedanken beseelt? Welche Frau kann sich mit ihr vergleichen?«
Cunrat blickte zu den Wänden des Langhauses hoch, wo zwischen den kleinen Rundbogenfenstern die Lebensgeschichte der heiligen Klara in bunten Bildern dargestellt war. Mit schmalem, bleichem Gesicht pflegte sie Kranke, vertrieb mit der Monstranz die Sarazenen und betete verzückt im Kreise ihrer Ordensschwestern. Dann fiel sein Blick auf Bärbeli, die ihre Augen starr nach vorn auf den Prediger gerichtet hatte.
»Lasset euch nicht verführen vom Weibe! Unzucht und Hurerei sind des Satans Übel! Schon Paulus schreibt: Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe!«
Dem Bäckergesellen wurde heiß. Landskron war ein hagerer, hochgewachsener Mann. Mit seiner Tonsur und dem schmalen, dunklen Bart sah er ein wenig so aus, wie man den Heiligen Paulus von Bildern her kannte, auf denen er neben seinem weißbärtigen Gefährten Petrus die himmlische Herde leitete.
»Eng gegürtete Kleider mit Ausschnitten, die kaum die weibliche
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