In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
war verschwunden, genau so in die Welt außerhalb ihrer Gemeinschaft geworfen wie er, nur dass er an seinem Schicksal selbst schuld war, während sie keinerlei Unrecht begangen hatte. Er war der Verantwortliche für ihrer beider Situation. Wenn er nur gewusst hätte, wo er sie finden konnte! Vielleicht war sie Richtung Stadelhofen gegangen, um die Stadt durch das Kreuzlinger Tor zu verlassen. Von dort aus eine Meile den See entlang lag das Frauenkloster Münsterlingen, und womöglich hoffte sie, dort Aufnahme zu finden. Aber warum glaubte er, dass sie in einem Kloster Zuflucht suchen würde? Hatte Schwester Elsbeth nicht gesagt, sie sei erleichtert gewesen, die Sammlung verlassen zu können? Vielleicht wollte sie gar nicht zurück in eine Frauengemeinschaft, sondern war auf der Suche nach … – er wagte den Gedanken kaum zu denken – … nach ihm?
Er hätte so dringend jemanden gebraucht, um darüber zu sprechen, aber Giovanni war nirgends auffindbar. Cunrat sehnte sich zurück nach seinem Dorf, nach dem Kloster, nach seiner Mutter. Dort, in Weißenau, war die Welt überschaubar gewesen. Hier war alles eine große Verwirrung wie in der Hölle auf den Bildern vom Jüngsten Gericht.
Er ließ sich ziellos durch die Stadt treiben, mit den Augen immer auf der Suche nach dem grauen Mäntellerinnenumhang. Irgendwann stand er vor der St.-Johann-Kirche. Er trat ein und ging langsam durch das Seitenschiff bis zum Margarethenfenster. Doch der Tag war wolkenverhangen, und die Heilige Margarethe schien ihm unter ihrer Haube so traurig zu sein wie er selbst. Selbst der Heiligenschein war matt und trübe. Er ließ sich neben einer Säule auf die Knie nieder und versuchte zu beten. Aber ihm kamen keine passenden Worte, und irgendwann wurde sein langer, hagerer Körper von Schluchzern geschüttelte. Langsam sank er zu Boden, wo er einfach sitzen blieb.
Cunrat wusste nicht mehr, wie lang er so gekauert hatte, als ihm jemand auf die Schulter tippte.
»He, Langer, ich hab mir gedacht, dass ich dich hier finde!«
Er blickte zu Giovanni auf und wischte sich mit dem Ärmel die Nase.
»Komm, steh auf!«
Im ersten Moment konnte er sich kaum auf den Beinen halten, so steif waren seine Knie geworden.
»Komm mit.«
Sie gingen zusammen zu Giovannis Unterkunft in der Gasse hinter der Kirche.
»Es ist nicht sehr komfortabel, aber ein Bett zum Schlafen und ein Dach überm Kopf. Und unser Ofenkärrlin passt auch noch rein, damit es über Nacht keiner stiehlt. Der Herr Sebald Pirckamer, unser Hausbesitzer, war einverstanden, noch eine Bettstatt dazuzustellen, und die übrigen Gesellen auch. Er ist dafür sogar ein wenig mit dem Preis runtergegangen, ein Rheinischer Gulden pro Monat für jeden. Das ganz links ist deins.«
In dem engen Bretterverschlag standen drei Betten mit dem üblichen Bettzeug – Strohsack, Pfühl und Kissen – direkt nebeneinander auf der gestampften Erde, an der gegenüberliegenden Wand befanden sich eine Truhe und ein kleines Fass als Tisch für ein Wachslicht. Die Ecke gegenüber der Tür war frei. Offenbar stand hier des Nachts das Ofenkärrlin. Es war bitterkalt.
»Hier!« Giovanni reichte ihm eine Brezel. Da spürte Cunrat erst, wie hungrig er war und dachte mit Bedauern an die stets reich gedeckte Tafel im Hause Katz. Giovanni wies auf die Truhe.
»Da kannst du deine Sachen unterbringen.«
Cunrat legte seine paar Habseligkeiten zu denen der anderen.
»Giovanni, ich w… wollte …«
»Ist schon gut, Cunrat, ich hab Mathis getroffen in der Stadt, der hat mir erzählt, dass der Bäcker dich wegen Bärbeli rausgeworfen hat. Und da hab ich mir gedacht, du könntest wahrscheinlich eine Unterkunft gebrauchen. Und wir können noch einen guten Bäcker gebrauchen. Also, wenn du bei uns mitarbeiten willst …«
Cunrat wusste gar nicht, was er stottern sollte vor lauter Dankbarkeit. Nun gehörte er wieder zur Welt!
»A… aber Giovanni, M… margarethe, sie haben sie f… fortgeschickt!«
»Was?«
Mühsam berichtete Cunrat dem ungeduldigen Freund, was mit Margarethe geschehen war, und dass er in der ganzen Stadt nach ihr Ausschau gehalten, sie aber nicht gefunden hatte. Giovanni kratzte sich am Kopf. Nun schien auch er ratlos.
»Sie könnte überall hingegangen sein. Ob sie die Stadt verlassen hat? Ich weiß nicht. Hättest du das an ihrer Stelle getan? Aber wer weiß schon, wie die Frauen denken! Vor allem so sanfte Frauen wie dein Gretli! Wenn da so eine Furie von Bäckermeisterin ankommt, dann
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