In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
Zunge!«
Die Stunde war bald abgelaufen, und langsam kam die Menge wieder auf den Platz geflutet, um dem Höhepunkt des Spektakels beizuwohnen. Schließlich verließ auch Hanns Hagen die warme Gaststube und begab sich mit dem Henker und den Ratsknechten zum Pranger. Aus seinem mitgebrachten Sack zog Egli Locher Hammer und Nagel hervor.
Peter Froschmaul, der Gotteslästerer, wurde starr und sah mit vor Angst geweiteten Augen um sich. Der Henker zog Lederhandschuhe über und schickte sich an, die Leiter zu ersteigen.
»Herr Vogt, auf ein Wort!«, ließ sich da plötzlich der Einäugige vernehmen.
Egli Locher hielt inne.
»Wartet!«, wies ihn Hagen an. Der Henker setzte den Fuß wieder zu Boden.
Die Blicke der Umstehenden richteten sich zornig auf den Störenfried, der sich nun einen Weg durch das Getümmel bahnte.
»Wer seid Ihr? Habt Ihr etwas vorzubringen?«
»Ja, Herr Vogt. Ich bin der Herr von Wolkenstein, ein Gefolgsmann des Herzogs Friedrich von Tirol und des Römischen Königs, ein Ritter und Kreuzfahrer. Und bei Gelegenheit auch Dichter und Spielmann, so wie der arme Kerl dort oben.«
»Das ist kein armer Kerl!« »Er hat die Gottesmutter beleidigt!« »Nagelt ihn endlich fest!«, ertönten Rufe aus der Menge. Die Menschen wurden ungeduldig. Zu lang schon hatten sie in der Kälte ausgeharrt, jetzt wollten sie endlich mit dem versprochenen Schauspiel belohnt werden.
»Ich grüße Euch, Herr von Wolkenstein«, antwortete jedoch respektvoll Hanns Hagen. »Was habt Ihr für ein Begehr, das nicht noch eine halbe Stunde aufgeschoben werden kann?«
»Ich wünsche, für den Mann da oben zu bürgen.«
Hanns Hagen erschrak. Das hatte er nicht erwartet.
»Herr, er ist wirklich ein schlimmer Sünder. In Gegenwart einiger Kleriker hat er unsagbare Worte über die Muttergottes geäußert!«
»Und die haben ihn dann angezeigt. Das kann ich mir vorstellen! Sei’s drum! Was muss ich tun, damit er freikommt?«
Der Vogt fühlte sich unbehaglich. Die Menschenmenge drängte immer lauter auf die Vollstreckung des Urteils. Er hatte ein Exempel statuieren wollen, damit alle Konzilsbesucher sähen, dass die Stadt rigoros gegen Missetäter vorging. Jedenfalls gegen die fluchenden. Die Diebesbande, die Costentz unsicher machte, und den Mörder, der sein Unwesen trieb, hatten sie noch nicht dingfest machen können. Aber dass es einen Mörder in der Stadt gab, wusste ohnehin nur er. Andererseits war Oswald von Wolkenstein tatsächlich eine wichtige Person im Gefolge des Königs. Man munkelte, er bekomme 300 Gulden Jahresgehalt von Sigismund, und der König wolle ihn für diplomatische Dienste einsetzen, weil er ein weitgereister Mann war, der viele Sprachen verstand.
Hanns Hagen rief den Henker zu sich und wechselte ein paar Worte mit ihm. Dann wandte er sich wieder an Wolkenstein: »Herr, das kann ich hier nicht entscheiden. Der Delinquent kommt wieder in den Turm, und ich werde die Sache dem Rat vortragen.«
Egli Locher steckte seine Marterwerkzeuge zurück in den Sack, während ein Stadtknecht die Leiter hochstieg, um dem Spielmann Peter Froschmaul die Eisen zu lösen. Die anderen Knechte hatten alle Mühe, die Menge zurückzudrängen, die wütend protestierte.
»Panem et circenses!«, murmelte kopfschüttelnd ein fein gekleideter Herr mit angegrauten Locken, der zum Bäckerstand getreten war und sich eine Pastete genehmigte. »Die Menschen wollen Blut sehen.«
Dann fügte er ironisch lächelnd zu Giovanni und Cunrat gewandt hinzu: »Ich hoffe nur, dass die Leute auch genügend Brot gekauft und euch ein gutes Geschäft beschert haben!«
Er redete Italienisch, und Giovanni übersetzte es für Cunrat. Da erinnerte sich der lange Bäckergeselle, dass er den feinen Herrn im Gefolge des Papstes gesehen hatte, bei dessen Einzug in Costentz. Er war derjenige gewesen, dessen Maultier so viele Bücher hatte schleppen müssen.
Alle drei atmeten auf, als der arme Sünder von zwei Stadtwachen zum Turm geführt wurde, verängstigt und durchgefroren, aber mit heiler Zunge.
Giovanni übersetzte dem Bücherfreund, was Oswald von Wolkenstein gesagt hatte.
»Der Herr von Wolkenstein hat ein barbarisches Aussehen, aber ein großes Herz!«, kommentierte der feine Herr die Handlung des Tirolers, ohne zu bemerken, dass in diesem Augenblick der Einäugige hinter ihm an den Bäckerstand trat.
»Hütet Eure Zunge, Ihr habt gesehen, wie schnell man sie in dieser Stadt verlieren kann!«, drohte Wolkenstein gutmütig auf Italienisch, und
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