In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
wird. Die Lädine – so heißen hier die großen Lastschiffe, mit denen man alles transportiert – brachte uns mit der Strömung rasch zur Südseite der Insel, wohin uns der Abt des dortigen Benediktinerklosters seine Diener mit zwei großen Pferdeschlitten entgegen gesandt hatte. Diese führten uns zum Kloster, wo er uns in seinen Räumlichkeiten mit heißem Wein und Gebäck einen herzlichen Empfang bereitete.
Es heißt, dass dieser Konvent einst eine der wichtigsten Abteien im Reiche des großen Karl gewesen sei. Sie habe nicht nur ein bedeutendes Skriptorium und eine prächtige Bibliothek beherbergt, sondern gar ein wahres Weltwunder hervorgebracht, nämlich einen verkrüppelten Gelehrten genannt Hermannus Contractus, der vor allem auf dem Felde der Musik sowie der Astronomie Großes geleistet habe.
Betrachtet man jedoch die Bibliothek und das Kloster heute, so findet sich kaum mehr etwas vom einstigen Glanze. Einer der mit uns hierher gereisten Bischöfe erzählte uns, dass diejenigen, die die gestifteten Klosterschätze erhalten und pflegen sollten, die Klosterherren aus den verschiedenen Adelsgeschlechtern, von defensores zu raptores geworden seien. Die Kirchengüter seien veräußert worden, das liturgische Lob nahezu verstummt und die Armenspeisung versiegt. Aber auch das geistige Leben scheint fast gänzlich erstorben, und war ich schon in der Bibliothek der Dominikaner enttäuscht gewesen wegen der vollständigen Abwesenheit interessanter Bücher, so hatte ich mir doch bei den Vertretern des ältesten Mönchsordens, bei den Anhängern des Heiligen Benedikt, etwas anderes erhofft. Doch da der jetzige Abt, ein Graf Friedrich von Zollern, kaum der Schrift mächtig ist, und es außer ihm nur noch einen weiteren Mönch auf der Insel gibt (der im Übrigen sein Neffe ist und ihn zum Abt gewählt hat) darf man sich nicht wundern, dass die Bibliothek weitgehend geplündert und das Skriptorium verwaist ist!
So hielten wir uns dort auch nicht lange auf, denn der Abt – dem sein Mangel an Wissen wohl bewusst und etwas genierlich war – zog es vor, uns andere Schätze zu zeigen, mit denen er sich eher brüsten konnte: die Heiltümer des Klosters. Die Insel ist übersät von unterschiedlichsten Kirchenbauten, wovon die meisten der Form nach recht barbarisch sind, Stückwerk aus vielen Jahrhunderten und mit altmodischen Malereien geschmückt. Auf den Schlitten fuhren wir nun von einem Gotteshaus zum nächsten, um hier den Kopf des Heiligen Georg, dort ein Stück von der Haut des Heiligen Bartholomäus, in diesem einen Fetzen vom Rock des Heiligen Petrus, in jenem den kleinen Finger des Heiligen Adalbert zu bewundern. Der gute Abt erzählte so voller Eifer von all seinen Kreuzessplittern, Engelsfedern und Heiligengewändern, dass ich mehr als einmal glaubte, Frate Cipolla sei wieder auferstanden. Abschluss und Höhepunkt unseres Itinerars war die Kirche des Heiligen Markus, die Hauptkirche des Klosters, die wie die Bischofskirche zu Costentz das Münster genannt wird. Sie ist umgeben von weitläufigen, zum größten Teil leerstehenden und halb zerfallenen Klosterbauten. Im Inneren der Kirche jedoch gibt es neben einem riesigen Smaragd einen goldenen Schrein zu bewundern, in dem sich – so versicherte uns der Abt beim Leben aller Heiligen! – die Gebeine des Heiligen Markus befinden. Der Sekretär eines venezianischen Prälaten, der auch mit uns gekommen war, schüttelte nur verächtlich den Kopf, aber der Abt erzählte voller Inbrunst, dass die Gebeine des Heiligen Valens vom Bischof von Verona hierher gebracht worden seien, und dass der Heilige kurz nach seiner Ankunft selbst seine wahre Identität als die des Heiligen Markus offenbart habe. Dies sei im Jahre 830 nach der Geburt des Herrn geschehen, worauf der Venezianer ein saures Gesicht machte, da doch der Heilige Markus zwar im Jahre 829 nach Venedig gebracht worden, dort aber nach dem Brand der Kirche verschwunden und erst im Jahre 1094 wieder erschienen ist, sodass der auf der Richenow befindliche Markus ältere Rechte zu haben scheint. Die wundersame Verwandlung des Valens in Markus ist auch auf dem goldenen Schrein sehr schön dargestellt, und ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, warum die venezianische Version der Geschichte wahrer sein sollte als die deutsche.
Doch wir hatten langsam genug vom Heiligengebein, und als wir schon aufbrechen wollten, um wieder nach Costentz zurückzukehren, da hat uns der Abt noch aufs Eis geführt, und zwar
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