In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
Unbekannten.
»Ich meine den mit der Narbe über dem rechten Auge!«
»Na und, was ist mit dem?«
»Das ist der Mann, der mit mir auf der Lädine nach Costentz gekommen ist. Und ich habe ihn schon ein paar Mal in der Stadt gesehen.«
Giovanni musterte seinen Freund verständnislos.
»So groß ist Costentz halt nicht, da kann es schon passieren, dass man jemanden öfters sieht, oder?«
»Aber er schaut immer so grimmig drein, als ob er Böses im Schilde führte!«
»Ach, Cunrat, was soll das? Manchmal ist einem eben nicht nach Lachen zumute.«
Er seufzte und wandte sich wieder zur Tür.
»Und wenn er der Mörder wäre?«
»Was?«
»Der Mörder! Wenn er die Tettingers und den Übersetzer umgebracht hätte?«
»Warum glaubst du das?«
»Weil er mit mir in der Stadt angekommen ist. Und weil es kurz darauf den ersten Toten gegeben hat. Und weil ich ihn auch an der Beerdigung von Ambrotscho gesehen habe!«
»Ambrogio. Dsch, dsch. Du redest schon wie der Vogt. Das sind doch alles keine Gründe!«
Cunrat wurde klar, dass Giovanni nicht in der Stimmung war, sich mit seinem Verdacht zu beschäftigen.
Sie wollten schon einen zweiten Krug bestellen, da hörte man plötzlich Schritte auf der Treppe, von schweren Stiefeln, von einem Mann, der nicht mehr in die Gaststube kam, sondern das Haus auf direktem Wege verließ. Als er an der Stubentür vorbeiging, sah Cunrat im Dämmerlicht des Treppenhauses für einen Augenblick, wer der Besucher war, hinter dem Lucia die Treppe herabkam. Offenbar wusste auch der Conte Sassino ihre Dienste zu schätzen.
Endlich betrat sie die Gaststube, und Giovanni sprang auf. Einige der anderen Gäste drehten sich ebenfalls um. Lucia erkannte den Venezianer sofort, und als Cunrat den Blick sah, mit dem sie ihn bedachte, wusste er, dass die Gefühle seines Freundes erwidert wurden. Nicht anders hatte Gretli ihn angeschaut in der Christnacht und als er sie neulich nach Hause gebracht hatte, nur glühte in Lucias Augen noch etwas anderes, wie ein großer Hunger, eine überwältigende Sehnsucht, und über alle Köpfe und alles Murmeln hinweg, quer durch das ganze Lokal schienen die Augen der beiden Zwiesprache zu halten, sie schienen sich etwas zuzurufen, etwas schrecklich Schönes und zugleich Trauriges.
Rosshuser stand hinter seinem Schanktisch und beobachtete die Situation genau. Er war Geschäftsmann, ihm waren Liebesgefühle einerlei. Wenn der Venezianer bezahlte, konnte er den Abend mit seiner Angebeteten verbringen, sie war heute noch frei.
In diesem Moment stand auch der unbekannte Dritte von seinem Tisch auf. Cunrat sah, dass er ebenfalls Lucia anstarrte, und nun verstand er: Auch dieser Mann war vom Liebesschmerz gepackt! Vielleicht hatte er Lucia in der Kirche singen gehört oder war ihr hier im Lörlinbad begegnet, jedenfalls durfte er sich aufgrund seines Alters sicher keine Hoffnung auf Erwiderung seiner Gefühle machen. Aber vielleicht genügte es ihm ja, ein paar Stunden mit ihr zu verbringen, auch wenn er teuer dafür bezahlen musste. Doch Giovanni kam ihm zuvor.
Er war bereits zu Rosshuser gegangen und legte eine Münze auf den Tisch. Cunrat verstand nicht, was sie redeten, zu laut war der Lärm in der Schankstube, doch kurz darauf kehrte Giovanni an den Tisch zurück und sagte: »Ich habe zwei Stunden mit Lucia. Warte hier auf mich.«
Cunrat wollte widersprechen, dass sie doch bald schon ihre Verabredung mit Poggio Bracciolini hatten, aber als er das Leuchten in Giovannis Gesicht sah, hielt er seine Worte zurück. Das andere konnte warten.
Lucia nahm Giovannis Hand und führte ihn nach oben. Der unbekannte Verehrer war kreidebleich geworden und starrte ihnen voller Bitterkeit hinterher. Dann warf er dem Wirt ein paar Münzen hin, sagte: »Das ist wohl genug!«, und verließ das Lokal. Cunrat bestellte noch einen Krug. Bei ihrer gemeinsamen Schifffahrt nach Costentz hatte er den Fremden für einen Ausländer gehalten. Nun hatte er klares Deutsch gesprochen. Und wenn er doch der Mörder war?
Cunrat musste lange auf Giovanni warten, der Nachtwächter hatte schon die elfte Stunde ausgerufen, als er endlich auftauchte.
»Dein Bad hättest du dir aber sparen können!«, empfing Cunrat seinen Freund, denn der war verschwitzt und roch schon wieder. Aber er strahlte wie lang nicht mehr.
Gemeinsam liefen sie zur Schänke von Ruof Lämbli, doch Poggio Bracciolini war nicht mehr dort. Zuerst ärgerte sich Cunrat über Giovanni, dem die Verspätung zu danken war, doch dann
Weitere Kostenlose Bücher