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In Santiago sehen wir uns wieder

In Santiago sehen wir uns wieder

Titel: In Santiago sehen wir uns wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Uhde-Stahl
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regnet, muss man... die Bäume schaffen es nicht... und die Wildschweine graben die Wurzeln der Büsche aus, er soll immer wieder nachsehen und den Mietern sagen, dass sie den Oleander vor der Terrasse und die kleinen Stecklinge in der Wiese gießen sollen, vor allem kein Grillfeuer im Garten...« - »Beruhige dich. Ich rufe Julien an, ich verspreche es dir. Komm erst einmal gut hier los...« - »Salut, Christophe, und vielen Dank!« - »Buen camino - bon chemin, so muss ich doch jetzt sagen.« - »Ja, jetzt bin ich Pilgerin.« Ich stehe am Bahnhof von Lézignan, allein, einen schweren Rucksack auf dem Rücken. Natürlich fährt der Zug zwei Stunden später
    - heute streikt auch die Bahn -, und als ich in Toulouse ankomme, ist der Anschlusszug nach Bayonne längst abgefahren. Ich blättere im Führer. Saint-Jean-Pied-de-Port - Roncevalles, die Einstiegsroute in den Jakobsweg durch Navarra. Will ich die wirklich nehmen? Die Route über den Somportpass durch Aragón ist schöner, länger und einsamer, und heute verkehrstechnisch besser zu erreichen! Ja, das klingt gut. Also auf zum Somportpass. Aber der Zug nach Pau und Oloron fährt erst heute Abend. Auch gut. Ein paar Stunden Toulouse, Erinnerungen aufwärmen... Jetzt geht es los, und ich bin ganz auf mich gestellt.
     
    ❖
     
    Toulouse. Durch die Stadt wandere ich zur Basilique Saint-Sernin - auch sie ist eine der großen Pilgerkirchen am Jakobsweg. Genau dreißig Jahre ist es her. Auf dem Platz um die Kirche ist Markt. Eine junge Frau verkauft Aquarelle und Spielzeug aus Holz, Puppen, Hampelmänner, Schlangen. Hin und wieder kommt ein junger Mann vorbei, ein kleines blondes Mädchen auf dem Arm. Nein, es ist immer noch nichts verkauft. Doch, eine Puppe. Zusammen gehen sie weg, die Frau trägt Porzellanteller mit Blümchendekor unter dem Arm.
    Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter. »Jakobsweg?« - »Ja, wie kommen Sie darauf?« - »Vielleicht der schwere Rucksack.« Cathérine hat ihn letztes Jahr gemacht, von Roncesvalles aus. Dieses Jahr geht sie von Arles bis zum Col de Somport. Sie reicht mir ein Zettelchen - »Buen camino, Bella«. In ihrem Blick liegt Weichheit, die wärmt.
     
 
Möge die Straße
dir entgegeneilen,
möge der Wind
immer in deinem
Rücken sein.
Möge die Sonne
warm auf dein
 Gesicht scheinen
 
und der Regen
sanft auf deine
Felder fallen,
und bis wir
uns Wiedersehen
halte Gott dich
im Frieden
seiner Hand.
Irischer Pilgersegen
  
     
    Ich sitze im Querschiff der Basilika. Da steigt ein Bild aus den Untergründen meiner Seele empor. Es muss Februar 1975 sein. Wir stehen im engen Flur des Hauses Le Mimosa B in Montpellier. Es riecht nach frisch gestrichenen Wänden. Gerade habe ich ihm gesagt, dass ich mich scheiden lassen möchte. »Tröste Mama«, sagt er zu der Kleinen und geht. »Tröste Mama.« Tränen steigen auf. Sofort versuchen Gedanken, sich darüber herzumachen, wie über einen Knochen. Aber heute lasse ich es nicht zu. Es ist noch viel Zeit bis zum Zug nach Pau, und hier bei der Reliefplatte des Saint Sernin ist es still. Am Ausgang zünde ich eine Kerze an, eine lange weiße Kerze, für mich und diesen Verlust.
    Ich schlendere durch die Innenstadt von Toulouse, über den Place du Capitol zur Jakobinerkirche. Es ist irrsinnig heiß. Die Kühle in der Kirche und die Klarheit ihrer Architektur tun gut. Lange Warteschlangen am Bahnhof. »Bon courage pour la meseta, Madame«, sagt einer. Der Zug fährt ab.
     

Oloron - Col de Somport - Jaca
    Sonnabend, 14. Juni
     
    Oloron, der Bus kommt, ich steige ein, es ist der falsche, und ich verpasse den pompösen Auftakt meines Weges. Ich unterquere den Somportpass und die Grenze im neu eröffneten Tunnel. Rechts und links markieren gelbgoldene Lichter die Wände des Tunnels; wie mit dem Lineal gezogen, tiefblaue Strahler, schnell und aseptisch, Kaiserschnitt, dann das Licht Spaniens und 860 Kilometer vor mir.
    Der Jakobsweg läuft am Aragón-Bach entlang abwärts, überquert Brücken und kleine Bäche, auf der anderen Seite der Schlucht die Nationalstraße. Felsen, Pappeln, Grün - ich nehme kaum etwas davon wahr. Aber die Zehen, die Fersen und Ballen, die Schultern und der Rucksack! Unter einem vorspringenden Felsen ruhe ich mich aus. Es ist laut hier. Das Rauschen des Flusses, der Schnellstraße, das Brummen eines Elektrizitätswerks unter mir - alles jeweils in Original und Echo. Oje, denke ich, das ist nur der Anfang. Was kann ich tun? Ich versuche, die Geräusche mit dem Gesang

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