Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Santiago sehen wir uns wieder

In Santiago sehen wir uns wieder

Titel: In Santiago sehen wir uns wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Uhde-Stahl
Vom Netzwerk:
Pracht.
     

Sangüesa - Foz de Lumbier – Izco
    Freitag, 20. Juni
     
    An der Straße entlang, verfolgt von Autos und Abgasen, erreichen wir die Schlucht Foz de Lumbier. Hier hat die lärmende Welt keinen Zutritt. Zu beiden Seiten des Flusses Irati ragen in großer Klarheit steile Wände in den Himmel. Auf den Felsgraten hoch oben hocken Geier. Ich bin mir sicher, dass sie jede meiner Bewegungen verfolgen. Dann wieder Landstraße, glühend heiße Piste. Der Anstieg zum Col de Loiti. Auf dem unwegsamen Pfad ist bei jedem Schritt Vorsicht geboten. Wieder muss der Wille wollen. Aber dann ist es geschafft, wir kommen in Izco an. Heute bin ich erledigt. Es gibt kein Wasser, und die anderen gehen mir auf die Nerven.
    »Warum gehst du den Camino?« Marina, die in Kanada lebende Spanierin, macht ihn zum dritten Mal. Sie sucht den Gral. Er symbolisiert für sie die Suche nach dem Höheren Selbst. »Auf dem Weg«, sagt sie »wirst du eine Menge von Pilgern treffen.« - »Wenn du beim Gehen in Kontakt mit dir selbst bist, werden dir genau diejenigen begegnen, die für deine Entwicklung wichtig sind. Wenn dich der Lärm und die vielen Menschen stören, wirst du daran lernen, dass du immer bei dir in der Stille sein kannst, auch wenn andere um dich herum sind.« Wir sitzen draußen, es ist immer noch sehr heiß, Schwalben jagen um den von der Sonne vergoldeten Kirchturm. Als wir dann zusammen die Bilder meiner Familie angeschaut haben, der Wasserhahn Wasser führt, wir fröhlich um den Tisch sitzen und die Gefährten meinen Salat schätzen, ist die Welt wieder in Ordnung.
     

Izco –Tiebas
    Samstag, 21. Juni
     
    Es ist früh am Morgen. Die Sonne geht hinter uns zwischen den Hügeln auf. Einer nach dem anderen gehen wir schmale Pfade bergauf, bergab, bergauf, bergab. Die Hitze kommt. Unter uns die graue Trasse einer Schnellstraße im Bau. Lastwagen, Planierraupen, Dampfwalzen, eine Symphonie aus ohrenbetäubendem Geheul, Geschähe, Gekratze. Staubwolken. Wir lagern im Schatten. Ein Bauer bringt uns frisches Wasser. »Ich bin der reichste Mann dieser Welt«, sagt er. »Warum?« fragen wir. »Ich habe die beste Frau der Welt gehabt. Vor 16 Jahren ist sie gestorben.« Seine Augen strahlen. Ich reiche ihm ein Stück Käse. Dann testet er meinen Rucksack. »Zu schwer«, sagt er. In der Tat, jeden Tag wird er schwerer, ich gewöhne mich nicht daran.
    Langsam wandern Fernanda und ich hinter den anderen her. »Es ist gut, dass es Blumen gibt«, sagt sie. »Warum machst du den Weg, Fernanda?« - »Ich weiß es eigentlich nicht, vielleicht, um zu wachsen, das ist viel.« Wir gehen und freuen uns an den gelben Knospen der Santolinen, dem duftenden Blauviolett des Lavendels, an Thymian, Buchsbaum und Steineichen. Weiße Becher der Trichterwinden polstern den Weg. Die anderen warten auf uns vor dem letzten Anstieg. In glühender Hitze erreichen wir die Herberge von Tiebas. Als wir das Licht anmachen, liegen da schon die vier Franzosen aus Bordeaux und Arnold aus der Schweiz. Wir kennen uns von früheren Etappen. Sancta María Madre de la Sancta Inquisición. Marina sitzt auf ihrer Matratze, sie wägt und wiegt den Inhalt unserer Rucksäcke. »Nein, das brauchst du nicht, send it home«, befindet sie, »get it away.« Die Stücke fliegen durch die Luft. »Das Deo kannst du behalten, das ist gut und wiegt wenig. You don’t smell.« Stolz reiche ich Anton meine Plastiktüte. »Das ist mehr als ein Kilo, bravo.« - »Bis am Montag die Post offen ist, musst du es mitschleppen, zur Strafe.« Marina ist streng. »Befreit euch von allem, was ihr nicht braucht. Und was ich heute für euch getan habe, das werdet ihr für andere Pilger tun, versprochen?« - »Man braucht wenig auf dem Weg nach Santiago«, sagt Cornelisz vor der Kirche Eunate. »Der Camino versorgt euch mit allem, was ihr benötigt.«
     

Tiebas - Eunate - Puente la Reina – Pamplona
    Sonntag, 22. Juni
     
    Die Franzosen sind schon unterwegs, als wir aufwachen. Auch Arnold ist schon gegangen. Er ist 83 Jahre alt und geht den Camino zum fünften Mal. »Jeden Tag neu anfangen, sich öffnen und versuchen, den Weg zu gehen. Du weißt nie, ob du es schaffst.«
    Heute will ich alleine wandern, den anderen voraus, der Weg ruft, meine Füße rufen, die Goldene Stadt winkt in 700 km Entfernung. Es geht sich leicht in der erquickenden Kühle des Morgens. Hügel, Getreidefelder, ein Dorf und wieder eines. Eine Böschung mit Gladiolen, rote Knospen. Rote Gladiolen! Schon sitze ich am Bett

Weitere Kostenlose Bücher