In Schönheit sterben
»Ich finde ja, sie sehen ein bisschen wie Velociraptoren aus – Sie wissen schon, diese Dinosaurier aus ›Jurassic Park‹.«
Lindsey pflichtete ihr bei. »Abgesehen davon, dass man von den Wyvern sagt, sie hätten sich auf ihren Flügelspitzen fortbewegt, während sie einem mit ihren Klauen das Herz aus der Brust rissen. Ich glaube, die Velociraptoren hatten Unterarme. Aber Sie haben recht, ihre Beute haben sie mit den großen Krallen an den Hinterbeinen getötet.«
»Na ja, sie haben ja nur zwei Beine, da ist es ihnen wohl schwergefallen, gleichzeitig zu laufen und mit den Krallen zuzuschlagen.«
»Genau.«
Mr. und Mrs. Okinara sammelten ihre restlichen Sachen ein und gingen in ihr Zimmer hinauf. Eine Gruppe polnischer Gäste veranstaltete gerade ein Picknick im Wintergarten, da der Regen ihre Pläne durchkreuzt hatte, es draußen abzuhalten.
Ansonsten war alles ruhig und friedlich.
Lindsey hatte gar nichts dagegen, allein am Empfang zu sein. Wenn einmal zu viel los war, konnte sie immer noch Anna, eines der Zimmermädchen, anrufen, die ihr dann helfen würde. Bis jetzt war das jedoch nicht notwendig gewesen. Als aber Steve Doherty zur Tür hereinkam und eine Brise frische Luft von draußen mit hereinbrachte, packte sie die Gelegenheit beim Schopf.
»Ich muss mit dir reden«, sagte sie zu Doherty.
»Dito. Tee auf der Terrasse?«
Das sagte er ganz aufgekratzt, aber Lindsey zerstörte seine Illusion sogleich. »Es regnet. Vielleicht lieber im Büro meiner Mutter?«
Während sie zwei Henkeltassen hinstellte und sie mit dem ständig frisch gebrühten Kaffee füllte, schaute er aus dem Fenster. Schwer klatschte der Regen auf die Steinplatten des Innenhofs, der das Hotel vom Kutscherhäuschen trennte, in dem Honey mit ihrer Tochter wohnte. Wenn er auf das Häuschen schaute und an seine letzte Übernachtung dort dachte, wurde ihm gleich wärmer zumute.
Lindsey stellte ihm einen Becher Kaffee hin und hielt ihren mit beiden Händen umfangen, als wollte sie sich an dem dampfenden Gebräu wärmen. Ehe sie einen Schluck nahm, atmete sie genüsslich das Aroma ein.
»Oh, das brauche ich jetzt wirklich«, sagte sie.
»Ich auch.«
Sie wollte ihn fragen, was denn das ganze Theater mit ihrer Mutter und der Schönheitsfarm sollte. Sie hielt nichts von der Vermutung ihrer Großmutter, dass der Aufenthalt der Vorlauf für eine bevorstehende Hochzeit war. Oma war eine Romantikerin. Ihre Mutter nicht – jedenfalls nicht in dem Ausmaß.
»Ich führe deine Mutter am Freitag groß aus. Dann ist sie wieder zu Hause.«
Plötzlich änderte sie ihre Meinung.
»Am Freitag?«
»Wenn sie von der Generalüberholung zurück ist.«
Lindsey verzog den Mund.
»Sie ist doch kein Auto!«
»Ach, da bin ich nicht so sicher. Wir sind alle ein bisschen wie Autos. Ab und zu braucht jeder mal eine Inspektion, und die eine oder andere Schraube muss nachgezogen werden. Genau wie bei Autos. Ich vermute, deine Mutter genießt das. Sie hat ja nicht so oft Zeit für sich.«
Lindsey musterte ihn nachdenklich. Sie hatte auf einmal Schwierigkeiten, sich die Idee ihrer Großmutter, dass die beiden heiraten würden, wieder aus dem Kopf zu schlagen.
Sie überlegte, ob es ihr etwas ausmachen würde, Steve Doherty als Stiefvater zu bekommen. Wahrscheinlichnicht. Aber sie wäre gern eingeweiht gewesen – falls es denn überhaupt ein Geheimnis gab.
»Es sieht ihr so gar nicht ähnlich, auf eine Schönheitsfarm zu gehen – wenn sie wirklich da hingefahren ist.«
»Zumindest klingelt da nicht das Telefon, wenn sie gerade mitten in einer indischen Kopfmassage ist«, meinte er und pustete auf seinen heißen Kaffee. »Es schien dir aber doch nichts auszumachen, ehe sie losgefahren ist?«
Lindsey zog eine Augenbraue in die Höhe. »Das hat sie dir gesagt?«
»Klar? Warum also plötzlich dieses Verhör?«
In Wahrheit passte es ihr gar nicht, dass sie nicht voll im Bilde war. Sie war immer davon ausgegangen, dass sie und ihrer Mutter einander nahestanden. Unsinn, sie war nicht nur davon ausgegangen, sie standen einander nah.
Warum also das Misstrauen? Sie konnte schlecht erwähnen, dass ihre Großmutter angerufen hatte und Genaueres hatte wissen wollen. »Wozu donnert sie sich denn so auf?«, hatte ihre Großmutter sich erkundigt, dann eine kleine Pause eingelegt, ehe sie ihre Frage selbst beantwortet hatte. »Sie heiratet wieder! Das ist es! Warum sonst würde sie was machen, was ihr gar nicht ähnlich sieht, und sich ein wenig verjüngen lassen,
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