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In Schönheit sterben

In Schönheit sterben

Titel: In Schönheit sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Goodhind
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drückte Honey auf die Plastikklingel.
    Der elektrische Klingelton war drinnen und draußen deutlich zu vernehmen.
    »Nützt Ihnen gar nix.«
    Sie schaute über die Brüstung. Es war wieder der rotgesichtige alte Mann von vorhin aufgetaucht, der eine Schubkarre vor sich herschob.
    »Hat der Butler heute seinen freien Tag?«, erkundigte sie sich höflich.
    »Da hamse verdammt recht. Heute hilft der Seiner Lordschaft. Wir müssen die Kartoffeln so bald wie möglich in die Erde bringen. Da kann ich meine Zeit nicht mit Butlerei vergeuden.«
    Während der Alte davonschlurfte, schaute sich Honey den Park und die elegant geschwungene Zufahrt an. Warf man nur einen flüchtigen Blick auf Macrottie Hall, so wirkte es recht eindrucksvoll. Bei näherem Hinsehen erwies es sich jedoch als ziemlich heruntergekommen, und es schien hier an dienstbaren Geistern zu mangeln. Der Alte mit dem roten Gesicht war offenbar Butler und Gärtner in einer Person.
    Die Schlussfolgerung aus all dem drängte sich geradezu auf: Seine Lordschaft war knapp bei Kasse.
    Sie war nun neugierig auf das Innenleben des Hauses. War das auch so vernachlässigt, die Möbel schäbig, die Eichentäfelung vom Holzwurm zerfressen? Höchstwahrscheinlich.
    Da gab es nur eins: sie musste einen Blick durch eins der Fenster werfen, um das herauszufinden. Besser noch wäre, wenn sie ins Gebäude kommen könnte.
    In der elisabethanischen Zeit hatten die Bauherren ihre Häuser gern zu Ehren ihrer Königin in Form eines E angelegt. Der Eingang bildete die Mitte des Buchstabens, und aus Ziegeln gemauerte Seitenflügel mit riesigen Erkerfenstern mit Rahmen aus behauenem Stein und bleigefassten Scheiben formten den oberen und unteren Balken des E. Zunächst überlegte Honey, dass sie durch eines dieser Fenster einen Blick ins Hausinnere werfen könnte.
    Als sie sich, auf der Treppe stehend, weit nach links beugte, konnte sie schon ein wenig sehen, aber sobald sie ein Bein ausstreckte und einen Fuß auf das Fensterbrett stellte, war der Einblick noch viel besser.
    Trotz des großen Fensters wirkte der Raum düster, denndas dunkle Holz des Bodens und der Wandtäfelung schluckte sehr viel Licht. Insgesamt macht der Raum einen ordentlichen Eindruck, und die Antiquitäten drin, die man allerdings wohl auch länger nicht mehr aufpoliert hatte, passten gut hinein.
    Sie zog ihr Bein vom Fensterbrett und wiederholte den Versuch auf der anderen Seite der Treppe. Diesmal schien ihr Bein nicht annähernd lang genug zu sein, um das Fensterbrett zu erreichen. Entweder war eines ihrer Beine kürzer als das andere, oder der Baumeister hatte auf dieser Seite einen Ziegelstein mehr eingefügt, denn der Abstand, den sie überbrücken musste, schien viel größer zu sein.
    Sie hatte nicht die Absicht, sich von einem elisabethanischen Baumeister entmutigen zu lassen, der beim Zählen ein wenig nachlässig gewesen war. Einmal tief eingeatmet, ein beherzter Schwung … und ihr Fuß stand auf dem Fensterbrett.
    Leicht war es aber nicht. Ein Zentimeter mehr, und sie würde sich die Hüfte auskugeln. Zumindest fühlte es sich so an.
    Und das war nicht das einzige Problem. Ihr anderer Fuß befand sich ja auf der äußersten Kante der Treppenstufe. Die alten Steine lösten sich in bröckelige Schichten auf, die sich gegeneinander verschoben.
    Honey erhaschte nur einen kurzen Blick auf das andere Zimmer, ehe die Stufe vollends zerkrümelte. Entweder würde sie herunterfallen, oder sie sprang mit beiden Beinen auf das Fensterbrett. Sie entschied sich für das Zweite.
    Die Fingernägel, die sie sich (wieder einmal) hatte lang wachsen lassen wollen, splitterten, als sie den weichen Stein der Fensterumrahmung packte und sich so gut wie nur möglich dort festkrallte.
    Das Fensterbrett war schmal, und an den Steinpfeilern konnte man sich schwer festhalten.
    Die Treppe schwang sich in einem weiten Bogen vom Gebäude weg, und es war recht weit bis zum Erdboden.Vielleicht nicht so weit, dass sie sich das Genick brechen würde, aber ein gebrochenes Bein war durchaus im Bereich des Möglichen.
    Verzweifelt suchte sie nach einer Möglichkeit, sich mit den Fingern festzuhalten. Sie hatte keine große Auswahl. Ein Metallstück, das äußere Stück eines Fenstergriffs, die kahlen hängenden Zweige einer Glyzinie, die bei jedem Windstoß an den Scheiben entlangkratzten.
    Da sprang ihr eine dritte Möglichkeit ins Auge. Es fehlte eine Glasscheibe. Man hatte an dieser Stelle des Fensters von innen Sperrholz

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