In Schönheit sterben
Schlüssel stecken lassen, oder?
Natürlich nicht.
Der Schlüssel, entschied Honey, war eine offene Einladung. Sorgfältig und sehr langsam drehte sie ihn herum und öffnete das Schränkchen.
Wie erwartet, fand sie die üblichen Accessoires eines reinlichen Lebensstils. Aber auch ein, zwei Extras. Das eine war eine Spraydose mit Deodorant –
Meeresblüten
. Für Damen. Kein Mann würde ein Deodorant mit diesem Namen benutzen.
Gleich daneben steckten ein Paket Tampons, eine Nagelfeile und eine Tube Fingernagelkleber. Jocelyn Trinder war um die sechzig und ein Mann. Das würde er nun wirklich nicht brauchen, oder? Na gut, die Nagelfeile vielleicht. Aber den Nagelkleber nicht. Und ganz gewiss nicht die Tampons! Es sei denn, er hatte eine Tochter.
In der Küche schickte sich Doherty gerade zum Gehen an und bedankte sich bei Jocelyn für die Speckbrote und den Kaffee.
»Und wenn Ihnen noch was einfällt, rufen Sie mich an.«
»Das mache ich.«
Honey ließ absichtlich ihre Handtasche liegen und erinnerte sich dann plötzlich daran, als sie mit dem Kopf schon in der frischen Luft und mit dem Rest ihres Körpers noch auf dem Kanalboot war.
»Ach, meine Tasche!«, rief sie, hielt inne und rannte in die Küche zurück.
Jocelyn war hinter ihr gewesen, machte einen Schritt zurück und ließ sie vorbei.
Er hielt sie beim Arm. »Sind Sie viel unterwegs?«, fragte er.
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Manchmal.«
»Tragen Sie je Uniform?«
Sie wollte gerade antworten, dass sie eigentlich keine Polizistin wäre, hielt aber inne. »Manchmal.«
Sein Atem war heiß an ihrem Ohr, und er presste seinen Oberschenkel gegen ihren.
»Eine Frau, die Uniform trägt, tut Wunder für meine sexuelle Leistungskraft.«
Honey war nun schon einige Zeit im Hotelgewerbe tätig und hatte jede Menge eindeutige Anträge ertragen müssen. Jocelyn Trinders Avancen brachten sie also nicht aus dem Tritt.
»Ich muss meine Handtasche holen.«
»Aber natürlich.«
Er ließ sie los, folgte ihr jedoch.
»Meine Tochter hat sie mir geschenkt«, erklärte sie, nachdem sie sich die große braune Tasche über die Schulter geschwungen hatte. »Die darf ich wirklich nicht verlieren. Das würde sie mir nie verzeihen. Sie wissen ja, wie das mit Kindern ist.«
»Leider nicht«, antwortete er, während er sie wiederherausgeleitete. »Ich hatte selbst nie Kinder. Maud auch nicht.«
»Und Sie waren beide glücklich damit?«
Er zuckte die Achseln. »Ich nehme an, wenn man älter wird, ist es ganz schön. Aber was man nie hatte, vermisst man auch nicht.«
Seine Handfläche streifte leicht ihr Hinterteil, als sie die Treppe hinaufging. Bestimmte Dinge schien Jocelyn Trinder dagegen sehr zu vermissen. Oder etwa nicht?
Diese Frage wurde schneller beantwortet, als sie gehofft hatte. Kaum waren sie draußen auf Deck, da veränderte sich Jocelyn Trinders Verhalten schlagartig.
Zunächst bemerkte Honey nicht, was – oder vielmehr wen – er da sah. Es kam jemand auf dem Treidelpfad auf sie zu gejoggt. Nichts Außergewöhnliches. Es waren schon ein paar Jogger vorbeigekommen, dazu noch der eine oder andere Radfahrer und ein paar Leute, die ihre Hunde spazieren führten. Eine weitere Läuferin war da wirklich nichts Besonderes. Wenn sie nicht gewinkt hätte.
Jocelyn Trinder winkte nicht zurück. Er schaute nicht mehr freundlich, sondern nervös und gehetzt.
»Sie entschuldigen mich? Ich habe zu tun.«
»Wenn Ihnen noch was einfällt …«, begann Doherty.
»Natürlich. Dann melde ich mich.«
Damit verschwand er rasch im Boot.
»Er kriegt Besuch«, murmelte Honey und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Person, die sich ihnen näherte. »Besuch, den er uns gegenüber nicht zugeben will.«
Die Frau, die gelaufen kam, ging auf die Vierzig zu, plus minus zwei oder drei Jahre, wenn man das auch heutzutage nicht mehr so genau sagen konnte. Viele Frauen unterzogen sich Schönheitsbehandlungen und mühten sich in Fitnessstudios ab, um der Zeit ein Schnippchen zu schlagen.
Die Frau hatte kurz geschnittenes Haar und wirkte sportlich. Sie hatte ein frisches Gesicht und strahlend weißeZähne. Sie rief ihnen im Vorüberlaufen ein fröhliches »Guten Morgen« zu.
Honey und Doherty blieben stehen und drehten sich um. Die Frau war sich ihres Interesses völlig unbewusst und rannte mit elastischen Schritten weiter auf Jocelyn Trinders Boot zu. Sie legte eine Hand auf die Reling hinten am Boot und sprang mit Schwung auf Deck.
»Wie alt war Maud Piper?«, fragte
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