In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
ließ sie sich mit den verheirateten Männern nie auf längere Gespräche ein. Nie. Ach, sollten sie sie doch verklemmt oder eine Zicke nennen, in ihren Augen war das immer noch besser als ein Flittchen oder Schlimmeres. Die Ehegattinnen der Stadt betrachteten sie sowieso schon mit Argusaugen. Besten Dank auch. An solchen Abenden hätte sie am liebsten ein T-Shirt mit der Aufschrift getragen: »Ganz ehrlich, ich habe wirklich nicht die Absicht, Ihnen den Gatten auszuspannen.«
Das Hauptgesprächsthema waren Universitäten, genauer gesagt, wessen Kind von welcher Universität eine Zulassung bekommen hatte und wessen nicht. Einige Eltern prahlten, einige
scherzten, und, Wendys Lieblingsreaktion, manche hängten ihr Fähnchen in den Wind wie Politiker nach einer Wahl und sangen plötzlich Loblieder auf die Universität, an die ihr Kind als »sichere Bank« auch noch eine Bewerbung geschickt hatte, um nicht mit leeren Händen dazustehen. Aber vielleicht ging Wendy mit ihnen auch zu hart ins Gericht, und sie versuchten nur, das Beste aus ihrer Enttäuschung zu machen.
Gnädigerweise ertönte die Glocke, worauf Wendy sich sofort vorkam, als wäre sie in ihre eigene Schulzeit zurückversetzt worden, und die Eltern strömten durch die Lobby zum Saal. In der Lobby waren verschiedene Stände aufgebaut. An einem wurden die Eltern gebeten, Schilder mit der Aufschrift BITTE LANGSAM FAHREN - WIR ♥ UNSERE KINDER anzubringen, was, wie Wendy zugab, durchaus effektiv sein konnte - nicht ohne irgendwie den Eindruck zu erwecken, dass der angesprochene Autofahrer seine Kinder wohl nicht so lieb hatte. An einem anderen Stand gab es Fensterbilder, auf denen man den Nachbarn mitteilen konnte, dass das eigene Haus nun wirklich »Drogenfrei« wäre, was zwar nett, im Prinzip aber ähnlich wie ein »Baby an Bord«-Autoaufkleber in augenscheinlicher Weise überflüssig war. Es gab einen Stand vom International Institute for Alcohol Awareness mit der Kampagne gegen Eltern, die Alkohol-Partys für ihre jugendlichen Kinder ausrichteten, und dem Slogan »Nicht in unserem Haus«. An einem anderen Stand wurden Verträge zum Abschluss von Abstinenz-Gelübden verteilt. Die Teenager gelobten, nie betrunken zu fahren oder zu jemandem ins Auto zu steigen, der etwas getrunken hatte. Die Eltern erklärten im Gegenzug, dass der Jugendliche sie jederzeit anrufen und sich von ihnen abholen lassen konnte.
Wendy setzte sich ganz nach hinten. Ein überfreundlicher Vater nahm mit eingezogenem Bauch und Fernsehmoderatorenlächeln
neben ihr Platz. Er deutete auf die Stände. »Was für ein Sicherheits-Overkill«, sagte er. »Wir übertreiben es manchmal ein bisschen mit der Vorsicht, finden Sie nicht?«
Wendy sagte nichts. Die Frau des Mannes setzte sich stirnrunzelnd neben ihn. Ganz bewusst begrüßte Wendy die stirnrunzelnde Frau, stellte sich kurz vor und erzählte, dass sie Charlies Mutter war, wobei sie geflissentlich jeden Blickkontakt mit dem Antisicherheits-Strahlemann mied.
Rektor Pete Zecher betrat das Podium und bedankte sich bei den Anwesenden dafür, dass sie in dieser »sehr schwierigen Woche« gekommen waren. Es gab eine Schweigeminute für Haley McWaid. Manche Eltern hätten gefragt, warum diese Versammlung nicht verschoben worden sei, aber der Kalender wäre bereits so übervoll mit schulischen Veranstaltungen, dass es einfach keine freien Termine mehr gegeben habe. Außerdem, wie lange hätten sie denn warten sollen? Noch einen Tag? Noch eine Woche?
Nachdem so ein paar bedrückende Minuten vergangen waren, stellte Pete Zecher Millie Hanover vor, die begeistert verkündete, dass das Motto der diesjährigen Project Graduation »Superhelden« lautete. Kurz gesagt, erklärte Millie ziemlich langatmig, würden sie die Sporthalle der Middle School im Stile verschiedener Orte aus Comicheften einrichten. Die Bat-Höhle, Supermans Festung der Einsamkeit, das X-Mansion der X-Men, oder wie das hieß, und das Hauptquartier der Gerechtigkeitsliga. In den letzten Jahren wäre die Schule unter anderem im Stile von Harry Potter, der Fernsehserie Survivor (das war dann vielleicht doch schon ein paar Jahre länger her, dachte Wendy) und sogar der Kleinen Meerjungfrau geschmückt gewesen.
Der Gedanke hinter der Project Graduation war, den Highschool-Abgängern sowohl nach dem Abschlussball als auch
nach der feierlichen Zeugnisübergabe einen sicheren Ort zum Feiern zu geben. Die Schüler wurden mit Bussen hergefahren, und sämtliche Aufsichtspersonen blieben
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