In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
haben ein paar Probleme«, sagte ich.
»Schon wieder? Aber sie ist gut für dich.«
»Ich habe Schwierigkeiten, gute Frauen bei mir zu behalten.«
»Das kannst du laut sagen.«
Jenna, meine wunderbare Exfrau, ist seit acht Jahren wieder
verheiratet. Ihr neuer Mann ist ein angesehener Chirurg namens Noel Wheeler. Noel hilft mir auch ehrenamtlich im Jugendzentrum. Ich mag Noel, und er mag mich. Er hat eine Tochter mit in die Ehe gebracht, dann ist noch die inzwischen sechsjährige Kari dazugekommen. Ich bin Karis Patenonkel, und beide Kinder nennen mich Onkel Dan. Wenn ein Babysitter gebraucht wird, bin ich die erste Wahl.
Ich weiß, dass das alles furchtbar zivilisiert und naiv klingt - und das ist es wohl auch. Für mich mag es schiere Notwendigkeit sein. Ich habe sonst niemanden - weder Eltern noch Geschwister -, also ist meine Exfrau sozusagen die nächste Verwandte. Mein Leben sind die Kids, mit denen ich arbeite, denen ich Rechtsbeistand leiste, denen ich zu helfen und Schutz zu geben versuche. Wobei ich im Endeffekt nicht die geringste Ahnung habe, ob ich irgendetwas mit alledem erreiche.
Jenna sagte: »Erde an Dan?«
»Ich bin dann da«, sagte ich.
»Halb sieben. Du bist der Beste.«
Jenna machte ein Kussgeräusch in den Hörer und legte auf. Ich sah mein Handy einen Moment lang an und dachte an unsere Hochzeitsfeier. Für mich war die Ehe ein Fehler gewesen. Für mich war es generell ein Fehler, Menschen zu nahe zu kommen, und daran war nichts zu ändern. Jetzt wäre es wohl an der Zeit für ein paar Geigen, zu deren Aufschluchzen ich noch ein bisschen weiter vor mich hinphilosophieren könnte, dass es doch besser sei, wenn man geliebt und diese Liebe verloren hätte, als nie geliebt zu haben. Aber für mich trifft das einfach nicht zu. Leider liegt es in der Natur des Menschen, dieselben Fehler immer wieder zu machen, selbst wenn man es eigentlich besser wissen müsste. Hier stand ich also, der arme Waise, der sich ganz nach oben gekämpft hatte - bis an die Spitze seines Jahrgangs an einer Ivy-League-Universität - und der seine
Vergangenheit trotzdem nie ganz abgelegt hatte. Auch wenn es schmalzig klingt, ich hätte eigentlich gern jemanden an meiner Seite. Leider ist das nicht meine Bestimmung. Ich bin ein Einzelgänger, geschaffen fürs Alleinsein.
»Wir sind der Abfall der Evolution, Dan …«
Das hatte mir mein Lieblings-Pflegevater beigebracht. Er war Professor, der sich gerne in philosophischen Diskussionen erging.
»Überleg doch mal, Dan. Was haben die Stärksten und Klügsten in der Geschichte der Menschheit von jeher getan? Sie sind in den Krieg gezogen. Erst im letzten Jahrhundert hat das aufgehört. Vorher haben wir unsere absolut besten Leute zum Kampf an die Front geschickt. Wer ist also zu Hause geblieben und hat sich vermehrt, während unsere Besten auf den Schlachtfeldern fielen? Die Lahmen, die Kranken, die Schwachen, die Krüppel, die Feiglinge - kurz gesagt, der Abfall. Und so sind wir dann entstanden, Dan - durch jahrtausendelanges Aussieben der Besten und die Fortpflanzung der Schwächlinge. Deshalb sind wir alle Abschaum - das Produkt jahrhundertelanger Fehlzucht.«
Ich beachtete den Türklopfer nicht, sondern trommelte leicht mit den Fingerknöcheln gegen die Tür. Leise knarzend öffnete sie sich einen Spaltbreit. Ich hatte nicht gesehen, dass sie nur angelehnt war.
Auch das gefiel mir nicht. Es gab hier eine ganze Menge, das mir nicht gefiel.
Als Kind hatte ich mir viele Horrorfilme angeguckt, was ziemlich seltsam war, weil ich sie eigentlich überhaupt nicht ausstehen konnte. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn mich irgendetwas aus der Dunkelheit ansprang und zu Tode erschreckte. Auch Filmblut konnte ich nicht ausstehen. Trotzdem hatte ich mir diese Filme angesehen und das idiotische Verhalten der Heldinnen in vollen Zügen genossen. Jetzt gingen mir
genau diese Szenen durch den Kopf, die Szenen, in denen besagte idiotische Heldinnen an eine Tür klopften, die sich leicht öffnete, worauf man als Zuschauer schreien wollte: »Mach, dass du wegkommst, du spärlich bekleidete Tussi!« Aber sie ging völlig unverständlicherweise weiter ins Haus hinein, und kaum zwei Minuten später schlug der Killer ihr den Schädel ein und löffelte ihr das Hirn heraus.
Eigentlich sollte ich sofort machen, dass ich wegkam.
Und genau das wollte ich auch. Aber dann fiel mir Chynnas Anruf wieder an, ich dachte an ihre Worte und an das Zittern in ihrer Stimme. Ich seufzte, beugte mich
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