In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
Armen. Na ja, Dan hat mich jedenfalls gefragt, ob ich ein Bier will. Ich hab eins genommen. Dann habe ich ihm erzählt, was mir passiert
ist. Er hat verständnisvoll zugehört. Als ich fertig war, hat Dan mir in die Augen gesehen und gesagt, er freue sich, dass ich vorbeigekommen wäre. Warum, habe ich ihn gefragt. Dann hat er mir erzählt, dass er Christa Stockwell die ganzen Jahre besucht hat. Ich war schockiert. Und dann hat er mir die endgültige Wahrheit erzählt.«
Wendy verstand - das war es, was Christa Stockwell ihr vorenthalten hatte.
»Was hat Dan zu Ihnen gesagt, als er das erste Mal hier war?«
»Das bleibt unter uns.«
Wendy sah Phil in die Augen. »Dan hat den Aschenbecher geworfen.«
Phil nickte. »Er hat gesehen, wie ich mich hinter dem Bett versteckt hatte. Die anderen - Farley, Steve und Kelvin - hatten sich schon aus dem Zimmer geschlichen. Die waren schon halb die Treppe hinunter, als Christa Stockwell die Hand zum Lichtschalter ausstreckte. Dan wollte sie nur ablenken. Mir die Chance zur Flucht geben. Also hat er den Aschenbecher geworfen.«
»Und damit den Spiegel direkt vor ihrem Gesicht zertrümmert.«
»Ja.«
Sie stellte sich die Situation vor. Sie stellte sich vor, wie Dan sein Geständnis ablegte und Christa es einfach hinnahm. Schließlich waren sie nur Studenten auf einer Trophäenjagd gewesen. War es so leicht zu vergeben? Für Christa vielleicht schon.
»Und all die Jahre«, sagte Wendy, »haben Sie es nicht gewusst?«
»Ich wusste es nicht. Dan hatte gelogen. Er hat versucht, mir zu erklären, warum er das getan hatte. Er stammte aus armen Verhältnissen, sagte er. Er hatte ein Stipendium und war verängstigt.
Es hätte mir sowieso nichts genützt. Er wäre am Ende gewesen - und wozu?«
»Also hat er den Mund gehalten.«
»Wie die anderen drei hat auch er sich gedacht, dass ich ja Geld hätte. Ich hatte eine reiche Familie und Verbindungen. Ich konnte Christa Stockwell entschädigen. Er hat nichts gesagt. Er hat einfach zugeguckt, wie ich für seinen Fehler bestraft wurde. Sehen Sie, Wendy, Dan war nicht unschuldig. Eigentlich trug er in vieler Hinsicht sogar die größte Schuld von uns allen.«
Sie überlegte, stellte sich die Wut vor, die Phil empfunden haben musste, als er erfuhr, dass er sein halbes Leben lang für ein Verbrechen bezahlte, das Dan begangen hatte.
»Aber er war kein Kinderschänder, oder?«
Phil dachte darüber nach. »Ich glaube nicht, nein. Zumindest habe ich es am Anfang nicht geglaubt.«
Sie versuchte zu begreifen, was das heißen könnte. Dann fiel ihr Haley McWaid wieder ein.
»Mein Gott, Phil. Was haben Sie getan?«
»Die anderen haben Recht. Ich bin erledigt. Ganz egal, was noch von mir übrig gewesen sein mag - das Gute, was da noch war -, jetzt ist es endgültig verschwunden. Das macht Rachsucht mit einem Menschen. Sie zerfrisst die Seele. Ich hätte diesen Weg niemals einschlagen dürfen.«
Wendy wusste nicht mehr, welchen Weg er jetzt meinte - den zum Haus des Dekans vor all den Jahren oder den des Hasses, der ihn dazu gebracht hatte, Rache zu üben. Wendy erinnerte sich an das, was Christa Stockwell über Hass gesagt hatte, dass man, wenn man an ihm festhielt, alles andere aus den Augen verlor.
Aber sie waren noch immer nicht fertig. Sie mussten noch die Sache mit Haley McWaid klären.
»Und als Dan freikam«, fing Wendy an, »ich meine, als die Richterin die Klage abgewiesen hat …«
Sie fröstelte, als sie das Lächeln in seinem Gesicht sah. »Sprechen Sie weiter, Wendy.«
Aber das konnte sie nicht. Sie versuchte, den Gedanken zu Ende zu bringen, aber plötzlich passte das alles nicht mehr zusammen.
»Sie fragen sich, was mit Haley McWaid ist, stimmt’s? Sie fragen sich, wie sie da hineingehört?«
Wendy bekam kein Wort heraus.
»Los, Wendy. Sagen Sie, was Sie sagen wollten.«
Aber sie hatte es gemerkt. Es passte nicht.
Seine Miene war ruhiger, es lag fast so etwas wie Gelassenheit darin. »Ja, ich habe ihnen weh getan. Habe ich das Gesetz gebrochen? Das kann ich gar nicht genau sagen. Ich habe ein Mädchen dafür bezahlt, Lügen über Farley zu verbreiten und Dan gegenüber eine Rolle zu spielen. Ist das ein Verbrechen? Ein Vergehen wohl auf jeden Fall. Ich habe im Chatroom vorgegeben, ein anderer zu sein - aber tun Sie das nicht auch? Sie sagten, der Richter hätte Dan laufen lassen. Das ist wahr, na und? Ich wollte die anderen ja nicht unbedingt ins Gefängnis bringen. Ich wollte nur, dass auch sie leiden. Und das
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