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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ich sie das letzte Mal gesehen hatte, schienen uns mittlerweile Welten voneinander zu trennen. Ich war aus ihrer Welt herausgefallen und eine Fremde geworden. Wer von ihnen sollte mich jetzt noch kennen?
    Ich konnte aber auch nicht hier auf der Straße stehen bleiben, wo ich die perfekte Zielscheibe abgab. Rasch drehte ich den Schlüssel im Schloss und schob die Tür auf.
    Als mein Blick auf die Treppe fiel, die zu den dunklen Räumen hinaufführte, kroch eine unbestimmte Angst in mir hoch. Ich zog die Tür zu und lehnte mich einen Moment dagegen, versuchte, ruhig durchzuatmen. Ein Teil von mir wäre am liebsten an der Tür zu Boden geglitten und dort liegen geblieben wie ein verendendes Tier. Ich konnte mich zusammenrollen und die Arme um den Kopf schlingen. Dann würde jemand kommen und sich um alles kümmern. Man würde mich auf eine Trage heben und an einen warmen, sicheren Ort bringen, und ich müsste nicht mehr Tag für Tag so weitermachen.
    Doch ich rollte mich nicht auf dem Boden zusammen, sondern ging auf die Hauptstraße zurück, wo ich ein Taxi herbeiwinkte und den Fahrer aufforderte, mich zum Belsize Park zu fahren. Obwohl ich die Hausnummer nicht wusste, war ich überzeugt, dass ich das Haus wiedererkennen würde, wenn ich erst einmal dort war.
    Wahrscheinlich würde er gar nicht zu Hause sein, und wenn doch, würde ich nicht wissen, was ich zu ihm sagen sollte.
    Ich fand das Haus ohne Probleme, weil mir der davorstehende Baum bekannt vorkam und ich mich noch an das schmiedeeiserne Tor erinnern konnte. Sowohl im Erdgeschoss als auch im ersten Stock brannte Licht. Ich reichte dem Fahrer eine Zehn-Pfund-Note und ging atemlos und mit wackeligen Beinen auf das Haus zu.
    Wahrscheinlich hatte er gerade Gäste oder vergnügte sich im Bett. Ich betätigte den Türklopfer und trat einen Schritt zurück. Als ich ihn kommen hörte, entschlüpfte mir ein kleiner Seufzer.
    »Abbie?«
    »Haben Sie Besuch? Störe ich?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie so überfalle, aber ich wusste mir keinen Rat mehr.
    Sie sind der einzige Mensch, der über die ganze Sache Bescheid weiß. Sie müssen entschuldigen.«
    »Was ist passiert?«
    »Ich habe Angst.«
    »Kommen Sie rein. Ihnen ist bestimmt kalt. Sie sehen richtig durchgefroren aus.« Er hielt mir die Tür auf, und ich betrat seine geräumige Diele.
    »Sie müssen wirklich entschuldigen.«
    »Nun hören Sie um Himmels willen auf, sich ständig zu entschuldigen. Kommen Sie in die Küche, da ist es schön warm. Moment, ich nehme Ihren Mantel.«
    »Danke.«
    Er führte mich in eine kleine Küche. Auf dem Fensterbrett standen Topfpflanzen, auf dem Tisch Narzissen. Es roch nach Kleber, Sägemehl und Lack.
    »Hier, setzen Sie sich. Schieben Sie die Sachen einfach zur Seite. Ich mache uns etwas zu trinken. Tee? Oder lieber eine heiße Schokolade?«
    »Das wäre wundervoll.«
    Er goss Milch in einen Topf und stellte ihn auf den Herd.
    »Haben Sie Hunger? Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?«
    »Heute Morgen, erinnern Sie sich?«
    »War das erst heute Morgen? Mein Gott!«
    »Haben Sie Ihre Besprechung gut hinter sich gebracht?«
    »Zumindest habe ich sie hinter mich gebracht. Soll ich Ihnen etwas zu essen machen?«
    »Nur eine heiße Schokolade. Das wäre sehr wohltuend.«
    »Wohltuend«, wiederholte er mit einem Lächeln.
    Er löffelte Schokogranulat in die kochende Milch und rührte um, bevor er sie in eine große grüne Tasse goss.
    »So, nun trinken Sie das, Abbie, und dann erzählen Sie mir, was passiert ist.«
    »Sally ist tot«, platzte ich heraus.
    »Sally? Wer ist Sally?«
    »Terrys neue Freundin.« Ich rechnete damit, dass er fragen würde, wer Terry sei, doch er nickte nur stirnrunzelnd.
    »Das tut mir Leid, aber haben Sie sie auch gekannt? War sie eine Freundin von Ihnen?«
    »Ich kannte sie eigentlich gar nicht. Aber sie ist ermordet worden.«
    »Ermordet? Jemand hat sie ermordet?«
    »Ganz in der Nähe von Terrys Wohnung. Die Polizei ist davon überzeugt, dass Terry es war.«
    »Verstehe«, sagte er langsam.
    »Aber er war es nicht. Ich weiß, dass er es nicht wahr.
    Natürlich glaubt die Polizei wieder, dass ich in irgendeiner paranoiden Phantasiegeschichte gefangen bin. Für die ist das nur ein weiterer Beweis: Terry hat mich verprügelt, und ich habe aus einer tristen Misshandlungsgeschichte eine heroische Entführungsgeschichte gemacht. Dann führt er das Muster weiter und bringt seine nächste

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