In seiner Hand
Freundin um.«
»Aber so war es nicht?«
»Nein. Terry könnte niemanden umbringen.«
»Viele Menschen, von denen man glaubt, sie könnten niemanden umbringen, bringen jemanden um.«
»Das sagt die Polizei auch. Aber ich kenne ihn. Hätte er sie tatsächlich umgebracht, dann wäre er hinterher vor lauter Schuldgefühlen zusammengebrochen und hätte die Polizei angerufen. Er hätte ihre Leiche ganz sicher nicht nach draußen getragen und ein paar Häuser weiter abgelegt. Selbst wenn er sie versteckt hätte, was er nicht getan hätte, weil er sie gar nicht hätte umbringen können, dann hätte er …«
»Ich bin nicht die Polizei.«
»Nein. Entschuldigen Sie. Es ist bloß … das alles. Ich muss ständig an den armen, dummen Terry denken. Und natürlich an Sally. Aber da ist noch etwas. Sally hat mir sehr ähnlich gesehen. Ich meine vorher, ehe ich mir meinen neuen Haarschnitt und all das andere zugelegt habe.« Ich sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte.
»Ich werde einfach dieses schreckliche Gefühl nicht los, dass eigentlich ich das Opfer hätte sein sollen.«
»Oh«, sagte er. »Verstehe.«
»Er ist irgendwo da draußen und sucht nach mir. Er wird mich finden. Ich weiß es.«
»Und die Polizei nimmt Sie nicht ernst?«
»Nein. Ich kann es ihnen nicht einmal verdenken. Ich weiß nicht, ob ich mich an ihrer Stelle nicht genauso verhalten würde. Wäre ich nicht ich, würde ich mich wahrscheinlich auch nicht ernst nehmen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich verstehe sehr gut, was Sie meinen.«
»Glauben Sie mir?«
»Ja«, antwortete er.
»Ich meine, insgesamt. Die ganze Geschichte.«
»Ja.«
»Wirklich? Sagen Sie das jetzt nicht bloß so?«
»Nein, ich sage das jetzt nicht bloß so.«
Ich sah ihn an. Er verzog keine Miene, wandte den Blick nicht ab. »Danke«, sagte ich. Dann griff ich nach meiner heißen Schokolade und trank sie aus. Plötzlich fühlte ich mich viel besser. »Darf ich kurz Ihr Bad benutzen? Dann gehe ich nach Hause. Ich hätte Sie nicht so überfallen dürfen, das war dumm von mir.«
»Einfach die Treppe rauf, Sie können es nicht verfehlen.«
Mit weichen Knien stieg ich die Treppe hoch. Im Bad wusch ich mir am Waschbecken mein fleckiges Gesicht.
Ich sah wie ein ins Wasser gefallenes Schulmädchen aus.
Als ich die Treppe wieder hinunterging, blickte ich mich um. Es war ein schönes Haus. Ich fragte mich, ob hier auch eine Frau lebte. An den Wänden hingen Bilder, und überall stapelten sich Bücher. In der Ecke, wo die Treppe einen Knick machte, stand eine große Pflanze. Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen und betrachtete ihren alten knorrigen Stamm und ihre dunkelgrünen Blätter. Ich beugte mich hinunter und drückte einen Finger in die feuchte, moosige Erde. Dann ließ ich mich neben ihr nieder und stützte das Kinn in die Hände. Ich wusste nicht, ob ich weinen, kichern oder schreien sollte. Am Ende tat ich nichts davon, sondern stand einfach auf und ging ganz langsam die restlichen Stufen hinunter. Als ich zurück in die Küche kam, saß Ben noch immer am Tisch. Er tat nichts Bestimmtes, starrte einfach nur in die Luft. Auch er wirkte müde. Müde und ein bisschen niedergeschlagen vielleicht.
Wie in einem Traum – meinem Traum, dem Traum von einem Leben, das ich einmal gelebt hatte, an das ich mich aber nicht mehr erinnern konnte – ging ich um den Tisch herum und legte eine Hand an sein Gesicht. Ich sah, wie sein Gesichtsausdruck ein wenig von seiner Härte verlor.
»War es so?«, fragte ich. Ich beugte mich über ihn und küsste ihn auf den Mundwinkel. Er schloss die Augen. Ich küsste seine Augenlider. Dann küsste ich ihn auf den Mund, bis er die Lippen öffnete. Er fühlte sich weich und neu an. »War es so?«
»Nein, so war es nicht.«
»Wie war es dann?«
»Du hast zu mir gesagt, du würdest dich so hässlich fühlen. Du hast über Terry gesprochen. Deswegen habe ich dich an die Hand genommen.« Er nahm meine Hand und führte mich in die Diele, wo ein großer Spiegel an der Wand hing. Er stellte mich davor, so dass ich mein Spiegelbild betrachten musste, die zerzauste, fleckige, blässliche, klapprige, ausgemergelte Abigail. Er stand hinter mir, und unsere Blicke begegneten sich im Spiegel.
»Ich habe dich hier herübergeführt und zu dir gesagt, dass du einen Blick in den Spiegel werfen sollst. Ich habe dir gesagt, wie schön du bist.«
»Ich sehe aus, als hättest du mich auf der Müllkippe aufgelesen.«
»Sei still, Abbie. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher