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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ruhigen Ort, wo ich in Sicherheit war. Denn hier war ich nicht mehr sicher. Die Stille des Hauses erschien mir plötzlich bedrohlich.
    Als ich mit dem Anziehen fertig war, sammelte ich eilig ein, was ich unbedingt brauchte. Schuhe, Tasche, Pulli, Börse, meine schreckliche rote Winterjacke. Spielte er mit mir? Er hatte mich angelogen oder es unterlassen, mir die volle Wahrheit zu sagen, und ich würde bestimmt nicht hier herumsitzen und warten, bis er nach Hause kam. Ich versuchte mir jene Stimme aus der Dunkelheit vorzustellen. Ich hatte auch Bens Stimme in der Dunkelheit gehört, neben mir im Bett. Er hatte mir ins Ohr geflüstert, gestöhnt, mir gesagt, dass er mich über alles liebte. Konnte es sich um dieselbe Stimme handeln?
    Ich musste weiter Jos Spuren folgen, das war der Schlüssel. Ich hatte die Leute gefragt, ob sie Jo gesehen hätten. Vielleicht hätte ich ihnen noch eine andere Frage stellen sollen. Ich rannte zu Bens Schreibtisch hinüber und begann in den Schubladen herumzuwühlen. Ungeduldig schob ich Akten und Notizbücher zur Seite, bis ich endlich fand, was ich suchte. Einen Streifen Passfotos von Ben.

    Einen Moment lang betrachtete ich die Aufnahmen. O
    Gott, er war wirklich ein gut aussehender Mann. Ich hatte die Leute nach Jo gefragt, aber ich war nie auf die Idee gekommen, sie auch nach Ben zu fragen. Bisher war ich meinen eigenen Spuren gefolgt, die ihrerseits Jos Spuren folgten. Nun überlegte ich, ob es vielleicht sinnvoller war, Bens Spuren zu folgen. Ich zögerte einen Moment, dann griff ich nach seinem Mobiltelefon. Ich brauchte es dringender als er. Bevor ich ging, drehte ich mich noch einmal um und blickte zurück, als wollte ich mich von einem Ort verabschieden, an dem ich kurze Zeit glücklich gewesen war.
    Jetzt konnte ich mich auf niemanden mehr verlassen. Ich musste schnell handeln. Mir gingen langsam die sicheren Orte aus.

    25
    Ich rannte. Rannte die Straße entlang, wo mir ein bitterkalter Wind ins Gesicht schlug und meine Füße auf dem eisigen Gehsteig ständig ausrutschten. Wo wollte ich hin? Ich wusste es nicht, ich wusste bloß, dass ich weg musste, einfach nur weg, an einen anderen Ort. Ich hatte das warme Haus verlassen, in dem es so angenehm nach Sägemehl roch, hatte die Tür hinter mir zugezogen und nicht einmal einen Schlüssel mitgenommen. Ich war wieder allein. Mir kam in den Sinn, dass ich mit meiner scheußlichen Jacke ein weithin sichtbares Ziel abgab, aber der Gedanke huschte mir nur ganz vage durch den Kopf, wie eine Schneeflocke, die rasch schmolz. Ich lief einfach weiter, an Häusern, Bäumen und Autos vorbei, die ich kaum registrierte. Selbst die Gesichter der mir entgegenkommenden Menschen nahm ich nur verschwommen wahr.
    Am Ende der Straße zwang ich mich, stehen zu bleiben und mich umzublicken. Niemand schien von mir Notiz zu nehmen, auch wenn man sich nie so sicher sein konnte.
    Denk nach, Abbie, befahl ich mir selbst. Denk nach, es geht um dein Leben. Aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich konnte nur fühlen und sehen. Vor meinem geistigen Auge tauchten Bilder auf. Ben und Jo, wie sie einander im Arm hielten. Erschöpft schloss ich die Augen und sah nur noch Schwärze, eine Schwärze, die sich anfühlte wie die Dunkelheit meiner verlorenen Zeit.
    Ich spürte, wie sie sich ein weiteres Mal um mich legte, spürte wieder den Blick seiner Augen, die mich aus der Finsternis anstarrten. Erst Jo und dann mich. Ich sah einen Schmetterling auf einem grünen Blatt, einen Baum auf einem Hügel, einen träge dahinströmenden Fluss, das stille, tiefe Wasser eines Sees. Ich schlug die Augen auf.
    Die schnöde graue Welt verdrängte alle anderen Bilder.
    Ich setzte mich wieder in Bewegung, diesmal langsamer, ohne ein konkretes Ziel zu haben. Ich ging am Park vorbei und den Hügel hinunter. Es zog mich zu Jos Wohnung, obwohl mir klar war, dass ich nicht dorthin durfte. Auf der belebten Hauptstraße, die von Läden gesäumt war, sah ich plötzlich Jos Gesicht. Blinzelnd starrte ich sie an, aber natürlich war es gar nicht Jo, sondern irgendeine Frau, die ihrer Wege ging, ohne zu ahnen, was sie für ein Glück hatte.
    Ich wusste in groben Zügen, wie Jo ihre letzten Stunden in Freiheit verbracht hatte: Mittwochnachmittag war sie auf der Suche nach einem Kätzchen gewesen. Im Laufe dieses Mittwochnachmittags war sie verloren gegangen, und am nächsten Tag war ich ebenfalls verschwunden.
    Nun suchte ich schon seit Tagen nach Anhaltspunkten, aber mehr hatte ich

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