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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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nicht in Erfahrung bringen können.
    Nur dieses erbärmliche Fitzelchen einer Information. Im Grunde tappte ich noch immer im Dunkeln.
    Ich machte auf dem Absatz kehrt, lief die Hauptstraße ein Stück zurück und bog dann in eine Straße ein, die Richtung Lewin Crescent führte. Ich ging die schmale Gasse entlang, bis ich zu dem schmuddeligen Häuschen mit den zugenagelten Fenstern kam, und klopfte an die Tür. Drinnen konnte ich Miauen hören, glaubte sogar einen schwachen Uringeruch wahrzunehmen. Dann kam jemand zur Tür geschlurft. Die Tür ging einen Spalt weit auf, und die alte Frau spähte misstrauisch zu mir heraus.
    »Ja?«
    »Betty?«
    »Ja? Wer sind Sie?«

    »Abbie. Ich war vor zwei Tagen schon mal hier. Ich habe Sie nach meiner Freundin gefragt.«
    »Ja?«, sagte sie noch einmal.
    »Darf ich reinkommen?«
    Sie löste die Kette und machte die Tür ganz auf. Mir schlug heiße, abgestandene Luft entgegen, und ich hatte sofort wieder diesen scharfen Geruch in der Nase. Wie beim letzten Mal bewegte sich im ganzen Raum ein Teppich aus Katzen. Betty trug dasselbe blaue, mit Katzenhaaren bedeckte Hemdblusenkleid, dieselben abgewetzten Hausschuhe und dicken braunen Strümpfe.
    Ich hatte den Eindruck, dass zumindest ein Teil des Ammoniakgeruchs von ihr ausging. Sie war so dünn, dass ihre Arme wie Stöcke und ihre Finger wie dürre Zweige aussahen.
    »Soso, Sie schon wieder. Sie zieht es wohl immer wieder her, was?«
    »Ich habe Sie etwas zu fragen vergessen.«
    »Was denn?«
    »Sie sagten, dass meine Freundin bei Ihnen war. Jo.« Sie reagierte nicht. »Die, die wegen eines Kätzchens zu Ihnen gekommen ist, der sie aber keines geben wollten, weil …«
    »Ich weiß, wen Sie meinen«, fiel sie mir ins Wort.
    »Ich habe Sie aber nicht nach dem Mann gefragt, mit dem ich da war. Moment.« Ich wühlte in meiner Tasche herum und holte den Streifen mit Bens Passfotos heraus.
    »Hier, das ist er.«
    Sie warf einen raschen Blick auf die Bilder. »Und?«
    »Erkennen Sie ihn wieder?«
    »Ich glaube schon.«
    »Nein, ich meine, haben Sie ihn schon beim letzten Mal wiedererkannt? Als ich mit ihm hier war?«

    »Sie sind eine sehr konfuse junge Dame«, erklärte sie, während sie sich zu einer roten Katze hinunterbeugte, die gerade mit dem Kopf gegen ihre Beine stupste. Das Tier schmiegte das Kinn an ihre Hand und begann laut zu schnurren.
    »Mich würde bloß interessieren, ob sie ihn vorher schon einmal gesehen haben. Bevor ich mit ihm hier war.«
    »Vorher?«
    Ungeduldig unternahm ich einen weiteren Versuch:
    »Haben Sie diesen Mann öfter als einmal gesehen?«
    »Die Frage ist, wann?«
    »Ja, genau.«
    »Was?«
    »Ich meine, ja genau, wann haben Sie ihn gesehen?«
    Allmählich wurde mir leicht schummrig.
    »Aber das wollte ich doch gerade von Ihnen wissen –
    wann ich ihn Ihrer Meinung nach gesehen haben soll. Ja ist keine Antwort.«
    Ich rieb mir die Augen. »Ich wollte bloß wissen, ob Sie ihn schon einmal gesehen hatten, bevor ich vor zwei Tagen mit ihm hier bei Ihnen war. Das ist alles.«
    »Zu mir kommen alle möglichen Leute. Ist er von der Stadt?«
    »Nein, er ist …«
    »Denn wenn er von der Stadt ist, lasse ich ihn nicht mehr ins Haus.«
    »Er ist nicht von der Stadt.«
    »Katzen sind nämlich von Natur aus reinliche Wesen, müssen Sie wissen.«
    »Ja«, antwortete ich dumpf.
    »Manche Leute finden es auch nicht in Ordnung, dass sie so viel jagen. Aber das liegt nun mal in ihrer Natur.«
    »Ich weiß.«
    »Ich gebe meine Kätzchen nicht an Leute ab, die sie rauslassen. Das habe ich auch Ihrer Freundin gesagt. Als sie mir eröffnet hat, dass sie die Katze rauslassen will, habe ich ihr gesagt, dass ihr Heim kein geeigneter Platz für ein Kätzchen von mir ist, weil es sowieso bloß überfahren würde.«
    »Ja. Danke. Entschuldigen Sie die Störung.« Ich wandte mich zur Tür.
    »Ich bin nicht wie dieses Hippie-Pack.«
    »Hippie-Pack?«
    »Ja. Denen ist es egal, wo die Tiere landen.« Sie schnaubte missbilligend.
    »Diese, ähm, diese Hippies haben auch so viele Katzen wie Sie?«
    »Nicht so viele wie ich«, antwortete sie. »Nein.«
    »Haben Sie Jo von ihnen erzählt?«
    »Kann schon sein.«
    »Betty, wo finde ich diese Leute?«

    Ich weiß nicht, warum ich es so eilig hatte. Vielleicht aus Angst, die heiße Spur könnte kalt werden. Ich wusste, wo Jo nach ihrem Besuch bei Betty hingefahren war – oder wo sie möglicherweise hingefahren war, und das genügte mir. Nun war ich bis zur letzten oder vorletzten Stunde

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