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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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geworden war. Hinter den Wolken konnte ich eine schmale Mondsichel ausmachen. Arnold Slater wohnte zwei Minuten von der Kirche entfernt, ein alter Mann im Rollstuhl. Jo hatte mit dem Gedanken gespielt, ihn aufzusuchen, und ich hatte mit dem Gedanken gespielt, Jo zu folgen und ihn ebenfalls aufzusuchen … Genau in dem Moment, als ich auf die Straße hinaustrat, begann das Handy, das ich mir beim Verlassen von Bens Wohnung geschnappt hatte, laut zu läuten, und ich zuckte erschrocken zusammen. Rasch holte ich das Telefon aus der Tasche und nahm, ohne nachzudenken, den Anruf entgegen.
    »Hallo?«
    »Abbie! Wo zum Teufel steckst du, Abbie? Was machst du? Ich bin schon halb wahnsinnig vor lauter Sorge um dich. Den ganzen Tag habe ich versucht, dich zu Hause auf dem Festnetz zu erreichen, aber du hast nicht abgehoben, deswegen habe ich eher zu arbeiten aufgehört, aber als ich nach Hause kam, warst du nicht da …«
    »Ben«, sagte ich schwach.
    »Ich habe gewartet und gewartet. Ich dachte, du bist vielleicht einkaufen gegangen, aber dann fiel mir plötzlich auf, dass mein Handy nicht mehr am Ladegerät hing, und da habe ich es aufs Geratewohl probiert. Wann kommst du nach Hause?«
    »Nach Hause?«
    »Abbie, wann kommst du zurück?«
    »Ich komme nicht zurück«, antwortete ich.
    »Was?«
    »Du und Jo. Ich weiß von Jo. Ich weiß, dass du mit ihr zusammen warst.«
    »Jetzt hör mir mal zu, Abbie …«
    »Warum hast du mir das nicht gesagt? Warum, Ben?«
    »Ich hatte Angst, dass …«
    » Du hattest Angst«, unterbrach ich ihn. » Du. «
    »Lieber Himmel, Abbie!«, sagte er, doch ich beendete das Gespräch mit einem raschen Knopfdruck. Eine Weile starrte ich auf das Telefon in meiner Hand, als könnte es mich beißen. Dann ging ich die Namen in seinem Adressspeicher durch. Ich kannte keinen davon, bis ich Jo Hooper erreichte. Ich erkannte die Nummer, es war die ihrer Wohnung, aber dann folgte eine weitere Jo Hooper (mobil). Ich drückte auf den Knopf und hörte das Freizeichen. Gerade als ich auflegen wollte, nahm jemand ab. »Hallo«, flüsterte eine Stimme. So leise, dass ich es kaum verstand.
    Ich sagte nichts, stand nur reglos da, das Handy gegen meine Wange gepresst. Während ich versuchte, die Luft anzuhalten, hörte ich ihn ganz leise atmen. Ein und aus, ein und aus. In meinen Adern breitete sich ein Gefühl von Kälte aus. Ich schloss die Augen und lauschte. Er sagte auch nichts mehr. Ich hatte ganz stark das Gefühl, dass er wusste, dass ich es war, und dass er wusste, dass ich wusste, dass er in der Leitung war. Ich konnte spüren, wie er lächelte.

    26
    Mir war, als würde ich im Traum einen Hang hinunterlaufen, der immer abschüssiger wurde, so dass ich nicht mehr anhalten konnte. Nichts an der Straße kam mir bekannt vor – weder der verkümmerte Baum, von dem ein abgebrochener Ast herabhing, noch die riesigen Holzstreben, die eine baufällige Häuserreihe am Einstürzen hinderten. Ich hatte einen seltsamen Geruch in der Nase und bildete mir ein, ein Stück weiter vor mir Schritte zu hören. Die von Jo. Meine eigenen. Wenn ich mich ein wenig beeilte, würde ich sie einholen.
    Ich hatte mir Arnold Slaters Hausnummer auf den Handrücken geschrieben. Zwölf. Ganz am Ende der Straße. Mich beruhigte der Gedanke, dass ich zu einem alten Mann unterwegs war, der noch dazu im Rollstuhl saß. Er konnte es nicht sein. Außerdem hätte ich mich sowieso nicht mehr aufhalten lassen – nun, da ich Jo so knapp auf den Fersen war. Ich stellte mir vor, wie sie voller Ungeduld hier entlangmarschiert war. Konnte es denn wirklich so schwierig sein, eine Katze aufzutreiben?
    Entlang der Straße fand sich die übliche Mischung aus restaurierten, verlassenen und vernachlässigten Häusern.
    Nummer zwölf sah noch recht passabel aus. Offenbar gehörte das Gebäude der Stadt, denn es war ziemlich viel dafür getan worden, den Zugang zum Haus rollstuhlgerecht zu gestalten. Es gab eine Betonrampe und ein stabiles Geländer. Ich drückte auf den Klingelknopf.
    Arnold Slater saß nicht in seinem Rollstuhl. Über seine Schulter sah ich den Stuhl zusammengeklappt in der Diele stehen. Trotzdem stellte der alte Mann für niemanden, der schneller war als eine Schildkröte, eine Bedrohung dar. Er trug einen Regenmantel und hielt sich am Türknauf fest, als würde er sonst umfallen. Mit zusammengekniffenen Augen und gerunzelter Stirn starrte er mich an. Ich musterte ihn ebenfalls aufmerksam, fragte mich, ob mir irgendetwas an ihm bekannt

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